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Aufmerksamkeits-Defizit- und Hyperaktivitäts-Syndrom – ADHS

Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen stellt in einer Aussendung hohe und weiter steigende Krankenzahlen beim Aufmerksamkeits-Defizit-/Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) und eine weitere Besorgnis erregende Zunahme der Verschreibung ADHS-spezifischer Medikamente fest. Noch immer werden sehr lebhafte Kinder allzu rasch als krank abgestempelt und mit Psychopharmaka ruhig gestellt, statt dass die tatsächlich an ADHS Erkrankten eine vielschichtige Therapie-Psychoedukation, Familientherapie, Verhaltenstherapie und Ergotherapie erhalten.
Das Grundproblem liegt dabei in der mangelhaften Diagnosequalität, denn oft werden Kinder und Jugendliche von dafür nicht ausgebildeten Kinderärzten oder Allgemeinmedizinern als ADHS-krank eingestuft, während in anderen Fällen ADHS dagegen wegen mangelhafter Diagnostik gar nicht festgestellt wird.

Die aufwändige, mehrere Stunden in Anspruch nehmende differentielle Diagnostik durch Psychologen, muss jeder Therapie unbedingt vorgeschaltet werden, wofür es flächendeckend Früherkennungszentren und sozialpädiatrische Einrichtungen gibt, in denen Psychologen, Ärzte und andere Berufsgruppen erfolgreich zusammenarbeiten. In diesen Einrichtungen sei nicht nur die Diagnosequalität für Kinder mit ADHS-Verdacht gewährleistet, sondern es bestehen auch Möglichkeiten, Eltern zu beraten und Kindern psychologisch anzuleiten. Die Beratung sei gerade dann dringend geboten, wenn ein Kind nicht an ADHS leidet und mit den Eltern andere mögliche Ursachen für Verhaltensauffälligkeiten zu klären sind. Auch eine Lösung für die steigende Zahl von ADHS-Fällen unter Erwachsenen benötigt in den kommenden Jahren Aufmerksamkeit in Forschung und Praxis verdiene.

Verhaltenstherapie bei ADHS im Erwachsenenalter wirksam

Shaw Rose berichtet in ihrem Weblog von einer amerikanischen Studie an Erwachsenen mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, die zeigt, dass Betroffene ihre Symptome erheblich besser kontrollieren können, wenn sie zusätzlich zu ihrer medikamentösen Behandlung eine kognitive Verhaltenstherapie erhalten. Studienleiter Steven Safren betont, dass Medikamente die Symptome von ADHS zwar sehr effektiv ,leiser schalten’ können, aber keine praktischen Fähigkeiten vermitteln, die Probleme mit der Aufmerksamkeit zu bewältigen und mit der Störung besser umzugehen. Neben den Sitzungen mit kognitiver Verhaltenstherapie wurden auch praktische Fähigkeiten vermittelt, wie man Prioritäten setzt, Probleme löst und mit Ablenkungen umgehen kann, also die Nutzung eines Terminkalenders, Anlegen und Abarbeiten von Listen mit Aufgaben, Unterteilung umfangreicher Aufgaben in überschaubare Schritte. Die Ergebnisse zeigten auch, dass die Teilnehmer nach der kognitiven Verhaltenstherapie ihre Symptome erheblich besser kontrollieren konnten als eine Gruppe, die nur ein Entspannungstraining absolviert hatte. Auch drei und neun Monate später war die Verbesserung noch sichtbar. Durch Verhaltenstherapie lassen sich neben der Medikamentation die Symptome also noch weiter verbessern, wenn Patienten praktische Fähigkeiten zum Selbstmanagement erlernen.

Im Rahmen einer Längsschnittstudie (Christiansen et al., 2014) wurden ADHS-Betroffene im Alter von sieben bis elf Jahren in jeweils insgesamt 30 Therapiesitzungen behandelt, wobei einige ein Selbstmanagement-Training absolvierten, in dem sie unter anderem lernten, das eigene Handeln zu planen und über sich selbst zu reflektieren, während die übrigen Kinder mit Hilfe von Neurofeedback-Methoden behandelt wurden, d.h., sie bekamen Rückmeldungen über ihre Gehirnaktivität und lernten, allein durch eine Art Computerspiel die Bewegung von Objekten auf dem Bildschirm zu steuern. Es zeigte sich, dass beide Methoden zu einem vergleichbar großen Rückgang von ADHS-Symptomen beitragen können, wobei die Verbesserung der Symptomatik auch noch sechs Monate nach Beendigung der Therapie bestehen blieb.

Der Einsatz von Sandwesten und Kugeldecken bei ADHS

Sandwesten sind mit Sand beschwerte Westen, die Kinder aber auch Erwachsene tragen können, um den eigenen Körper stärker zu spüren und dabei ruhiger zu sitzen. Schon seit längerer Zeit setzte man vergleichbare Decken zum Schlafen ein, da viele hyperaktive Kinder auch im Schlaf sehr unruhig sind. Sandwesten, oft aufgrund ihrer Füllung auch Kugeldecken genannt, sollen unruhigen Kindern helfen, ruhiger zu sitzen oder zu liegen. Sandwesten geben angeblich dem Körper ein Gefühl der Schwere, das vor allem auch unwillkürliche Bewegung teilweise unterdrückt, doch will ein Kind jedoch von Stuhl oder Bett aufstehen, wird das Kind dabei nicht behindert, da sowohl die Sandwesten als auch die Kugeldecken nur wenige Kilogramm schwer sind.
Deutsche Kinderärzte lehnen nun (2017) den Einsatz von Sandwesten bei Volksschülern ab, da der therapeutische Nutzen bei zappeligen und unkonzentrierten Schülern bisher nicht belegt ist. Sie sind der Ansicht, dass es wenig zielführend ist, unruhige Kinder als krank auszusortieren und ihnen die Sandweste überzuziehen, denn das löst diese Probleme nicht grundlegend. Sinnvoller wäre es, die Kinder besser zu fördern, kleinere Klassen einzurichten und mehr Bewegung in den Unterricht zu integrieren.

Literatur & Quellen

Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen
http://www.praxis-dr-shaw.de/blog/ist-verhaltenstherapie-bei-adhs-im-erwachsenenalter-wirksam/ (10-10-17)
Christiansen, H., Reh, V., Schmidt, M. & Rief, W. (2014). Slow cortical potential Neurofeedback and self-management training in outpatient care for children with ADHD: Study protocol and first preliminary results of a randomized controlled trial. Frontiers in Human Neuroscience, 8, No. 943.


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4 Gedanken zu „Aufmerksamkeits-Defizit- und Hyperaktivitäts-Syndrom – ADHS“

  1. Ich möchte mich dieser Aussage unbedingt anschließen und ergänzen, dass nicht nur die Verhaltenstherapie und nicht nur im Erwachsenenalter bei ADS und ADHS sehr wirksam sein kann.

  2. Max Friedrich (Universitätsklinik Wien) werden pro Jahr etwa 2500 Kinder vorgestellt, unter denen etwa 20 mit einem echten ADHS sind, also knapp 10 Promille. Somit besteht der Verdacht, dass die meisten Kinder, die auf Ritalin gesetzt werden, das Leiden gar nicht haben. Für den Österreichischen Berufsverband der Psychologen gilt diese Behauptung sicher nicht! Ich verweise nur auf die Ausführungen in den Arbeitsblättern von Werner Stangl: http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/PUBLIKATIONEN/RitalinADHS.shtml und http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/GEDAECHTNIS/Aufmerksamkeitsstoerungen.shtml und http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/GEDAECHTNIS/Hyperaktivitaetsstoerung.shtml

  3. Der Berufsverband der Psychologen hat über Jahre geschlafen, was ADHS angeht und ist hinsichtlich der wissenschaftlichen Bearbeitung der Thematik zerstritten. Für einen Psychoanalytiker gibt es kein ADHS, ein VTler wird derzeit auch weitgehend hilflos der Problematik gegenüber stehen. Psychologen sehen sich dann häufig in einem Minderwertigkeitskampf mit den ach so einfach Medikamente verschreibenden Ärzten oder den fordernden Eltern. Übersehen wird, dass die Kids eben lebenslang eine andere Form der Wahrnehmung und Emotionsverarbeitung (oder „Nicht-Verarbeitung“) haben, die dann zu chronifizierten Krankheitsbildern führen kann, die man später als atypische Depression, Persönlichkeitsstörung oder andere Eigenkompositionen der Psychologen betitelt. Aufklärung und Weiterbildung täte Not. Aber bei den Veranstaltungen zu ADHS sind Vertreter des Berufsverbandes sehr selten anzutreffen. Man hat halt seine Meinung.

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