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Trinkkultur ohne Rituale: Krankheitskonzept vs Lasterkonzept

Suchtexperten bedauern, dass es in unseren Breiten keine Trinkkultur gibt, denn die Gesellschaft toleriert es, wenn junge Menschen auf der Straße oder in öffentlichen Verkehrsmitteln trinken, die Gesellschaft toleriert es, wenn jemand schon am frühen Morgen betrunken ist. Es gibt etwa in Österreich Bevölkerungsgruppen, die Bier und Most nicht zu den alkoholischen Getränken zählen. Zwar ist nahezu unbestritten, dass geringe Mengen Alkohol der körperlichen Gesundheit und dem seelischen Wohlbefinden durchaus zuträglich sind, doch sind die vorherrschenden Meinungen über Gefährdungsgrenzen viel zu hoch gegriffen, wobei je nach Lebenswelt viel zu große Mengen als noch verträglich eingestuft werden. Für die Berauschung fehlen klare Rituale, wobei im Gegensatz zu anderen Ländern die Trinkkultur in Österreich eher permissiv ist, denn sowohl hinsichtlich der Trinkanlässe, der Konsumform als auch der Menge gibt es relativ wenige Beschränkungen. Alkoholkonsum wird vor allem von Jugendlichen nach wie vor als Ausdruck von Männlichkeit, Erwachsensein und sozialer Kompetenz gesehen.
Es gibt zwei historisch gewachsene Haupttendenzen in der Wahrnehmung des Alkoholismus, nämlich das medizinische Krankheitskonzept einerseits und das auf moralische Kategorien aufbauenden Lasterkonzept andererseits. Das Krankheitskonzept formuliert ein entsprechendes Suchtverhalten als Abhängigkeitserkrankung, wobei noch heute vom medizinischen Standpunkt aus vor allem Aufmerksamkeit auf vorhandene Faktoren (genetisch) in der Persönlichkeit und Person des Abhängigen gelegt wird und auch auf die Veränderung der Persönlichkeit durch den chronischen Konsum des Abhängigen. Allerdings ist beimAlkoholismus und sogar Alkoholmißbrauch vor allem das Lasterkonzept in unserer Gesellschaft fest verankert, wobei der Süchtige als sprunghafte, willensschwache, haltlose und asoziale Persönlichkeit gesehen wird, die sich durch das Leben schwindelt. Diese herrschende Doppelsicht der Alkoholabhängigkeit, die weite Verbreitung von Alkoholkonsum, -mißbrauch und -abhängigkeit, die langsame Entwicklung des Krankheitsbildes und die damit verbundene Unschärfe zwischen Konsum und Abhängigkeit und auch das Abwehrverhalten der Betroffenen, ist die Grundlage für die Probleme im Umgang mit alkoholauffälligen Personen, sodass der alltägliche private und professionelle Umgang mit Alkoholproblemen ein verkanntes und vor allem tabuisiertes Problem ist, dem auch erfahrene Helfer hilflos gegenüberstehen.

Quelle:
Geishofer, Manfred H. (1999). Alkoholmißbrauch und Sucht in der sozialen Arbeit.
WWW: http://www.geocities.com/HotSprings/Villa/4515/sozialarbeit.html (99-09-21)


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