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Sensomotorisches Umherschweifen von Babys

Menschliche Verhaltensweisen, die eine Ganzkörperkoordination erfordern, beinhalten eine umfangreiche sensomotorische Interaktion, wobei spontane Körperbewegungen im frühen Entwicklungsstadium möglicherweise zum Erwerb eines solchen koordinierten Verhaltens führen. Diese Bewegungen tragen nach Ansicht von Experten zur Strukturierung der sensomotorischen Interaktion bei, indem sie spezifische Regelmäßigkeiten in der bidirektionalen Information zwischen Muskelaktivitäten und Propriozeption liefern. Allerdings ist noch unbekannt, ob und wie spontane Bewegungen, wenn sie aufgabenfrei sind, die sensomotorischen Interaktionen im gesamten Körper während der frühen Entwicklung strukturieren und organisieren.

Um diese Fragen zu klären, haben Kanazawa et al. (2023) Einblicke in den Strukturierungsprozess der sensomotorischen Interaktion bei Neugeborenen und 3 Monate alten Säuglingen gewonnen. Dafür wurden zwölf nur wenige Tage alte Neugeborene und zehn etwa drei Monate alte Babys beobachtet, wobei mittels Motion-Capture-Technologie ihre Bewegungen detailliert erfasst und aufgezeichnet wurden. Diese Aufnahmen wurden dann mit einem zuvor angefertigten Computermodell des Bewegungsapparats von Babys kombiniert, um so das Zusammenspiel zwischen den Muskeln und den Sinnesorganen im gesamten Körper zu analysieren.

Dabei entdeckten man Muster, die sich auf der Grundlage des scheinbar zufälligen Bewegungsverhalten der Babys entwickelt hatten, d. h., es gab eine Verbindung zwischen den spontanen Bewegungen der Babys und der Aktivität von Nervenzellen im Nervensystem. Die Muster waren dabei bei den drei Monate alten Babys bereits stärker ausgeprägt als bei den Neugeborenen, denn bei den Älteren zeigten sich auch schon häufiger aufeinanderfolgende Bewegungsabläufe. Frühe Spontanbewegungen induzieren also die raum-zeitliche Strukturierung sensomotorischer Interaktionen und nachfolgende Entwicklungsveränderungen, was darauf hindeutet, dass frühe Bewegungen mit offenem Ende, die aus einem bestimmten neuronalen Substrat entstehen, die sensomotorischen Interaktionen durch Verkörperung regulieren und zu späteren koordinierten Verhaltensweisen beitragen. Bisher hat man angenommen, dass die Entwicklung des sensomotorischen Systems von wiederholten Interaktionen zwischen Motorik und Sinnesorganen abhängt, d. h., je öfter ein und dieselbe Bewegung ausgeführt wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie gelernt und erinnert wird, aber diese Ergebnisse deuten eher darauf hin, dass Babys ihr eigenes sensomotorisches System auf der Grundlage von Erkundungsverhalten und Neugier entwickeln. Durch Bewegungen ohne erkennbaren Zweck entwickeln sich die notwendigen Fähigkeiten für das spätere Zusammenspiel zwischen dem Eingang eines Reizes, also der Sensorik, und der Antwort auf den Reiz in Form von Bewegung, der Motorik. Es handelt sich nach Ansicht der Autoren der Studie also um ein sensomotorisches Umherschweifen, das sich auf die spätere Entwicklung auswirkt, etwa auf das Gehen und Greifen, sowie auf komplexere Verhaltensweisen und höhere kognitive Funktionen, wie Lernen, Denken und Verstehen.

Literatur

Kanazawa, Hoshinori, Yamada, Yasunori, Tanaka, Kazutoshi, Kawai, Masahiko, Niwa, Fusako, Iwanaga, Kougoro & Kuniyoshi, Yasuo (2023). Open-ended movements structure sensorimotor information in early human development. Proceedings of the National Academy of Sciences, 120, doi:10.1073/pnas.2209953120.
https://science.orf.at/stories/3216733/ (23-01-15)


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