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Neurobiologisches Modell kreativer Prozesse

Kreativität wird mit dem Finden neuartiger, überraschender und nützlicher Lösungen in Verbindung gebracht. Khalil & Moustafa (2022) argumentieren in ihrer Arbeit, dass kreative kognitive Prozesse, divergentes Denken, Abstraktion und Improvisation auf verschiedenen neuheitsbezogenen Prozessen des menschlichen Gehirns beruhen, obwohl viele glauben, dass die Kreativität nur einer einzigen Gehirnregion zugeordnet ist, was aber nicht der Fall ist.

Der präfrontale Cortex spielt bei der kreativen Ideenfindung eine Rolle, indem er einen Kontrollmechanismus bereitstellt. Darüber hinaus aktiviert das Nachdenken über neuartige Lösungen die entfernten oder lose verbundenen Neuronen eines semantischen Netzwerks, an dem auch der Hippocampus beteiligt ist. Neuartigkeit kann dabei auch als unterschiedliche Kombinationen früher erlernter Prozesse interpretiert werden, wie z. B. der motorische Sequenzierungsmechanismus der Basalganglien. Darüber hinaus ist das Kleinhirn für die präzise Kontrolle von Bewegungen zuständig, was bei der Improvisation besonders wichtig ist.

Diese neuroinformatische Perspektive auf Kreativität basiert auf drei kreativen Prozessen, in deren Mittelpunkt die Suche nach Neuem steht und die durch den präfrontalen Cortex, den Hippocampus, das Kleinhirn, die Basalganglien und Dopamin unterstützt werden. Die algorithmische Umsetzung dieses Modells könnte es ermöglichen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen diesen kreativen Prozessen auf der Grundlage der vorgeschlagenen neuronalen Schaltkreise zu beschreiben. In Anbetracht der Tatsache, dass die meisten bisherigen Studien hauptsächlich theoretische und konzeptionelle Modelle der Kreativität geliefert haben, stellt diese Arbeit das erste vom Gehirn inspirierte neuronale Netzwerkmodell der kreativen Kognition vor. Mit diesem vorgeschlagenen neuronalen Netzwerkmodell versucht man erstmals einen einheitlichen Rahmen für drei scheinbar ganz unterschiedliche Formen der Kreativität zur Verfügung zu stellen.

Die menschliche Kreativität lässt such aus drei funktionale Schaltkreisen im Gehirn ablesen, deren Verknüpfung bei Menschen mit hoher Kreativität besonders ausgeprägt ist, d. h., dieses Netzwerk zeigt dichte funktionale Verbindungen zwischen Kernarealen der Default-, Exekutiv- und Salienzsysteme, also drei Netzwerken, die normalerweise eher in Opposition zueinander arbeiten. Das Default-Mode Netzwerk, das Teile des Stirnhirns, des Scheitellappens und des Hippocampus umfasst, wird dann aktiv, wenn Menschen ihre Gedanken schweifen lassen, Erinnerungen nachhängen oder tagträumen, wobei dieser Schaltkreis für das Aufrufen von Ideen und Informationen aus dem semantischen Gedächtnis sorgt. Das Salienz-Netzwerk, bestehend aus Arealen tief im Inneren der beiden Hirnhälften, wird aktiv, wenn das Gehirn die Relevanz von internen und externen Informationen einordnet und bewertet, d. h., dieses System ist essenziell für das Aussortieren der vom Default-Mode-Netzwerk zutage geförderten Ideen. Das Netzwerk für die exekutiven Funktionen im Stirnhirn ist dabei die übergeordnete Kontrollinstanz, die die Ideen bewertet und für das zielgerichtete Optimieren der vielversprechendsten Ansätze sorgt. Die Synchronisierung zwischen diesen drei Systemen ist demnach für die Kreativität besonders wichtig, denn bei Menschen, die flexibel denken und kreative Ideen entwickeln, arbeiten diese sonst getrennten Netzwerke besser zusammen.

Literatur

Khalil, Radwa & Moustafa, Ahmed A. (2022). A neurocomputational model of creative processes. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 137, doi:10.1016/j.neubiorev.2022.104656.
Stangl, W. (2023, 21. Jänner). Kreativität. Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik.
https:// lexikon.stangl.eu/542/kreativitaet


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