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Hatte Milgram wirklich recht?

Stanley Milgram hatte in seinen Experimenten vor allem gezeigt, wie sehr Menschen dazu bereit sind, anderen Schaden zuzufügen, wenn eine Autoritätspersonen ihnen erklärt, dass dieses Verhalten gerechtfertigt sei und einer guten Sache diene. Lengersdorff et al. (2020) haben nun ein Experiment mit Elektroschocks durchgeführt, wobei es ihnen aber nicht darum ging, die Autoritätshörigkeit zu überprüfen, sondern das prosoziale Verhalten, also die Neigung, etwas zum Nutzen anderer zu tun. In dieser Studie mussten die Versuchspersonen wiederholt zwischen zwei Symbolen wählen. wobei eines der beiden sehr oft einen schmerzhaften Elektroschock auslöste, während das andere nur selten zu einem Schmerz führte. Durch wiederholtes Ausprobieren sollten die Versuchspersonen lernen, durch welche Auswahl sie die Anzahl der schmerzhaften Schocks reduzieren konnten. Im ersten Teil der Versuche mussten die Versuchspersonen diese Entscheidungen treffen, um für sich selbst Elektroschocks zu vermeiden, im zweiten Teil hingegen mussten sie die Entscheidungen für einen zweiten Versuchsteilnehmer treffen, den sie vor dem Experiment kennengelernt hatten. Im Schnitt erwiesen sich die Probanden als effizienter beim Vermeiden von Stromstößen, wenn diese anderen Studienteilnehmern drohten, wobei die Probanden sensibler zwischen dem besseren und dem schlechteren Symbol unterschieden, wenn ihre Auswahl einen Mitmenschen betraf. Auch in deren Gehirn spiegelte sich dies in einer erhöhten Aktivität im ventromedialen präfrontalen Cortex wider, jenem Gehirnareal, das unter anderem für die Bewertung von Umweltreizen und Handlungsoptionen zuständig ist. Zudem kommunizierte dieses Hirnareal während Entscheidungen für die andere Person verstärkt mit dem rechten temporoparietalen Cortex, das für soziale Kognitionen verantwortlich ist wie der Perspektivenübernahme. Prosoziale Entscheidungen könnten daher durch ein Zusammenspiel von Gehirnregionen entstehen, die einerseits Bewertungsprozesse, andererseits auch soziale Informationen verarbeiten. Man schließt aus den Ergebnissen, dass prosoziales Verhalten spontan auftreten kann. Menschen sind offenbar besser darin, andere vor Schmerzen zu bewahren, als sich selbst zu schützen, was letztlich bedeutet, dass Menschen nicht immer egozentrisch handeln.

Literatur

Lengersdorff, Lukas L., Wagner, Isabella C., Lockwood, Patricia L. & Lamm, Claus (2020). When implicit prosociality trumps selfishness: the neural valuation system underpins more optimal choices when learning to avoid harm to others than to oneself. The Journal of Neuroscience, doi: 10.1523/JNEUROSCI.0842-20.2020


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