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Entscheidungsfindung

Bei Entscheidungsprozessen stehen dem Menschen oft viele Handlungsoptionen offen, wobei das Gehirn auch auf Situationen reagieren muss, mit denen es noch nie konfrontiert wurde. Bekanntlich sucht das Gehirn ständig nach Erfahrungen, die es bereits gespeichert hat und aus denen es Verhaltens- und Entscheidungsmuster auch für unbekannte Situationen abstrahieren kann. Es orientiert sich dabei an mehr oder weniger allgemeinen Mustern, was Sinn macht, weil das Gehirn dann nicht jede Alltagssituation einzeln neu lernen muss und so schneller entscheiden kann. Diese Muster werden im Hippocampus gespeichert, der eine wichtige Rolle bei der Anwendung von Verhaltensregeln aus bekannten auf unbekannte Situationen spielt.

Forschungsergebnisse der Kognitionspsychologie zeigen, dass menschliches Schließen und  Entscheiden nicht nur mit Hilfe rationaler Mechanismen erfolgt, vielmehr spielen auch Teile des Gehirns, die für Emotionen zuständig sind, eine wichtige Rolle. Und das vor allem dann, wenn schnelle und dennoch optimale Entscheidungen gefällt werden sollen.  Die Idee eines stets rational handelnden Menschen entstammt den Wirtschaftswissenschaften, doch nicht immer wägen Menschen Kosten und Nutzen ab, sondern sie folgen vor allem in kritischen Situationen ihren Emotionen, Konventionen und Werten. Daher hat die jeweilige Definition einer Situation eine starke Auswirkung auf das menschliche Handeln, denn je nachdem, wie Menschen eine Situation interpretieren und welche Handlungsnormen für sie damit verbunden sind, verhalten sie sich, und das kann entweder sehr spontan sein oder auch sehr abwägend.

Winfried Neun analysiert in seinem Buch „Warum es uns so schwer fällt, das Richtige zu tun“ die Psychologie der Entscheidungen und zeigt, warum Menschen so anfällig für falsche Entscheidungen sind, und wie man diese vermutlich seit langer Zeit tradierten Verhaltensmuster überwindet. Eine Ursache für dieses Verhalten, oft sehenden Auges die falsche Entscheidung zu treffen, ist die Tatsache, dass Menschen nicht allein von der Wahrnehmung, ihren Erfahrungen und dem Erlerntem gesteuert werden, sondern vielmehr davon, welche Eigenschaften dominieren. Eigenschaften wie kreativ, enthusiastisch, perfektionistisch beeinflussen das menschliche Verhalten, die Art und Weise, wie sie die Faktenlage bewerten und daher auch, wie sie ihre Entscheidungen treffen.

Ein Ziel mehrerer Experimente von Gluth et al. (2020) war es, zu verstehen, wie sich Menschen in einer Welt mit immer mehr Wahlmöglichkeiten bewegen, etwa in Online-Shops oder großen Einkaufszentren. In der Realität haben Menschen in der Regel nicht die Wahl zwischen zwei Artikeln, sondern zwischen zehn oder hundert verschiedenen. Probanden mussten daher in mehreren Durchgängen zwischen drei verschiedenen Nahrungsmitteln wählen, die immer wieder wechselten, wobei man feststellte, dass die Menschen ihre Aufmerksamkeit nicht gleichmässig verteilten, vielmehr konzentrierten sie sich mehr und mehr auf die beiden für sie vielversprechendsten Kandidaten. Das führte zu schnelleren Entscheidungen, denn je leichter es war, die schlechteste Option zu streichen, desto rascher konnten sich die Probanden zwischen den beiden übrigen entscheiden. Wenn Menschen sich also zwischen drei und mehr Alternativen entscheiden müssen, verfolgt ihre Gehirn offenbar eine ganz bestimmte Strategie, indem es die schlechtesten Optionen aussortiert und die Aufmerksamkeit verstärkt auf die beiden interessantesten Möglichkeiten richtet. Wenn Menschen daher zwischen drei und mehr Alternativen wählen müssen, richtet sich deren Aufmerksamkeit meist auf die beiden aussichtsreichsten Kandidaten, und je rascher sie das tun, desto schneller fällen sie ihre Entscheidungen.


Werden Menschen bei Entscheidungen im Alter langsamer?

Die Reaktionsgeschwindigkeit bei einfachen Entscheidungsaufgaben nimmt bekanntlich ab dem frühen und mittleren Erwachsenenalter ab, doch sind die bloßen Reaktionszeiten keine tatsächlichen Maße für die geistige Geschwindigkeit, vielmehr stellen sie die Summe mehrerer Prozesse dar. Von Krause et al. (2022) nutzten ein Bayes’sches Diffusionsmodell, um interpretierbare kognitive Komponenten aus Rohdaten zur Reaktionszeit zu extrahieren, wobei sie dieses Modell auf Querschnittsdaten von über eine Million Teilnehmern und Teilnehmerinnen anwendeten, um Altersunterschiede bei den kognitiven Parametern zu untersuchen. Um diesen großen Datensatz effizient zu analysieren, wendeten sie eine Bayes’sche Inferenzmethode zur effizienten Parameterschätzung unter Verwendung spezialisierter neuronaler Netze an. So mussten Bilder und Wörter auf einem Bildschirm bestimmten Kategorien zugeuordnet werden, wobei sich zeigte, dass sich ältere Probanden einfach mehr Zeit für nicht entscheidungsrelevante Prozesse nahmen und mehr abwägten als junge Teilnehmer, was sich vor allem im Drücken der Antworttaste bemerkbar machte. Die längeren Reaktionszeiten waren daher eher auf eine größere Vorsicht bei der Entscheidungsfindung zurückzuführen. Die Ergebnisse deuten also darauf hin, dass die Verlangsamung der Reaktionszeit zwar bereits im Alter von zwanzig Jahren einsetzt, dass diese Verlangsamung jedoch auf eine zunehmende Vorsicht bei Entscheidungen und auf langsamere Nicht-Entscheidungsprozesse zurückzuführen ist als auf Unterschiede in der geistigen Geschwindigkeit. Eine echte Verlangsamung der geistigen Geschwindigkeit wurde erst ab einem Alter von etwa 60 Jahren beobachtet.

Wie entscheiden Tiere in Entscheidungssituationen?

Forschungen des Max-Planck-Instituts haben versucht herauszufinden, wie Tiere die Komplexität ihrer Umwelt begreifen und anhand von verfügbaren Informationen Entscheidungen treffen. Dabei wurden verschiedene Tierarten in immersive virtuelle Welten geschickt, d. h., Fruchtfliegen, Fische oder Heuschrecken wurden verschiedenen fotorealistischen Szenarien ausgesetzt und die Bewegungen während der Wahl des optimalen Vorgehens erfasst. Es zeigte sich, dass diese ähnlich binär wie Computer vorgehen, indem sie Entscheidungen so lange in Wahlen mit zwei Optionen herunterbrechen, bis die endgültige Vorgehensweise gefunden ist. Bisher dachte man, dass Tiere zuerst entscheiden, wo sie etwa hingehen und anschließend die Route einschlagen, doch hat die sich verändernde Umwelt permanent Einfluss auf die Entscheidungen, sie reagieren also überwiegend auf Basis der aktuellen Situation, indem es bei ihnen zu einer Reduzierung der Komplexität auf eine “Entweder, oder”-Entscheidung kommt, was ein schnelles und effizientes Vorgehen ermöglicht, das auch das Überleben sicherstellt.


Siehe auch Wie beeinflussen Routinen das Entscheidungsverhalten?

Literatur

Gluth, S., Kern, N., Kortmann, M. & Vitali, C. L. (2020). Value-based attention but not divisive normalization influences decisions with multiple alternatives. Nature Human Behaviour, doi:10.1038/s41562-020-0822-0.
von Krause, Mischa, Radev, Stefan T. & Voss, Andreas (2022). Mental speed is high until age 60 as revealed by analysis of over a million participants. Nature Human Behaviour, doi:10.1038/s41562-021-01282-7.
Stangl, W. (2022, 10. März). Werden Menschen bei Entscheidungen im Alter langsamer? . Psychologie-News.

Werden Menschen bei Entscheidungen im Alter langsamer?


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