Das menschliche das menschliche Immunsystem ist weit mehr als nur eine biologische Verteidigungslinie gegen Krankheitserreger – es ist auch ein stiller Dirigent des Verhaltens. Neue Forschungsergebnisse zeigen eindrücklich, dass das Immunsystem nicht nur körperliche Reaktionen wie Entzündungen oder Fieber auslöst, sondern gezielt in unsere Psyche eingreift und damit das Verhalten und die Stimmung steuern kann. Dies geschieht unter anderem durch sogenannte Zytokine – Immunbotenstoffe, die auch auf das Gehirn wirken. Besonders im Fokus steht dabei Interleukin-17 (IL-17), das in verschiedenen Varianten vorkommt und an unterschiedliche Rezeptoren im Gehirn bindet.
Wie Studien von Choi et al. (2025) sowie Lee et al. (2025) an Mäusen zeigten, beeinflusst IL-17 direkt zwei Gehirnareale: die Amygdala und den somatosensorischen Cortex. In der Amygdala – dem Zentrum für emotionale Verarbeitung – lösen bestimmte IL-17-Varianten Angstgefühle und sozialen Rückzug aus. Dies könnte ein evolutionär entwickelter Mechanismus sein, um die Ausbreitung von Infektionen innerhalb sozialer Gruppen zu verhindern: Wer krank ist, isoliert sich, was potenziell andere schützt. Gleichzeitig wirkt ein weiterer Botenstoff, IL-10, als Gegenspieler. Er hemmt übermäßige Angstreaktionen und stellt damit sicher, dass die Reaktionen des Immunsystems nicht selbst zum Problem werden (Choi et al., 2025).
Interessanterweise entfaltet IL-17 in einem anderen Hirnbereich eine gegenteilige Wirkung. In der sogenannten S1DZ-Region des somatosensorischen Cortex – zuständig für Körperwahrnehmung und Schmerzverarbeitung – wirkt die Variante IL-17E auf spezielle Rezeptoren und senkt dort die neuronale Erregbarkeit. Dies führt bei autismusähnlich veranlagten Mäusen zu einem Rückgang des sozialen Rückzugs und steigert tendenziell die soziale Interaktion (Lee et al., 2025). IL-17E fungiert in diesem Zusammenhang wie ein Neuromodulator – eine Art Vermittler zwischen Immunsystem und Gehirn, der ähnlich wie klassische Neurotransmitter direkt auf neuronale Netzwerke einwirkt.
Die Forschung deutet darauf hin, dass IL-17-Moleküle über zwei entgegengesetzte Pfade wirken: einerseits über die Amygdala angstfördernd und rückzugsverstärkend, andererseits über den Cortex sozial stimulierend. Dieser scheinbare Widerspruch könnte Ausdruck einer evolutionär optimierten, fein abgestimmten Verhaltensregulation sein. Das Immunsystem scheint nicht nur die Krankheit zu bekämpfen, sondern gleichzeitig auch dafür zu sorgen, dass sich das Verhalten des Wirts den Bedingungen anpasst – je nach Kontext zurückhaltend oder sozial offener (Lee et al., 2025; Choi et al., 2025).
Die Implikationen dieser Ergebnisse sind weitreichend. Zum einen bieten sie neue Einblicke in das Zusammenspiel zwischen Immunsystem und Gehirn – das sogenannte neuroimmune interface, um anderen könnten sie den Weg für neue Therapien ebnen. So besteht die Hoffnung, dass bestimmte psychische Erkrankungen wie Angststörungen oder Autismus künftig über das Immunsystem beeinflusst werden könnten, ohne dass Medikamente die Blut-Hirn-Schranke überwinden müssten. Stattdessen könnten Immunbotenstoffe gezielt außerhalb des Gehirns modifiziert werden, um indirekt neuronale Prozesse zu beeinflussen (Choi et al., 2025).
Literatur
Choi, G. B., et al. (2025). Brain-wide mapping of immune receptors uncovers a neuromodulatory role of IL-17E and the receptor IL-17RB. Cell, doi:10.1016/j.cell.2025.03.005
Lee, Y., Ishikawa, T., Lee, H., Lee, B., Ryu, C., Mejia, I. D., … & Huh, J. R. (2025). Brain-wide mapping of immune receptors uncovers a neuromodulatory role of IL-17E and the receptor IL-17RB. Cell, doi:10.1016/j.cell.2025.03.006
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