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Zur genetischen Verflechtung psychischer Erkrankungen

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    Aktuelle Erkenntnisse aus der psychiatrischen Genetik zeigen, dass viele psychische Erkrankungen nicht isoliert entstehen, sondern auf gemeinsamen genetischen Grundlagen beruhen. Große populationsbasierte Analysen mit sehr hohen Fallzahlen belegen, dass genetische Varianten, die das Risiko für eine bestimmte psychische Störung erhöhen, häufig zugleich die Anfälligkeit für weitere Erkrankungen beeinflussen. Damit wird deutlich, dass psychische Erkrankungen stärker entlang übergeordneter biologischer Dimensionen organisiert sind, als es klassische diagnostische Kategorien nahelegen. Besonders ausgeprägt sind genetische Überschneidungen bei affektiven und angstbezogenen Störungen wie Depressionen, Angststörungen und posttraumatischen Belastungsstörungen, die ein gemeinsames Risikoprofil aufweisen. Auch schwere psychische Erkrankungen wie Schizophrenie und bipolare Störungen teilen einen großen Teil ihrer genetischen Grundlagen. Ähnliche Muster finden sich bei neuroentwicklungsbezogenen Störungen wie ADHS und Autismus, bei Substanzgebrauchsstörungen sowie bei Ess- und Zwangsstörungen. Diese genetischen Cluster erklären einen Großteil der erblichen Anteile der jeweiligen Erkrankungen, während krankheitsspezifische genetische Effekte vergleichsweise selten sind.

    Die geteilten genetischen Risikofaktoren betreffen häufig grundlegende biologische Prozesse, etwa die Regulation der Genaktivität oder die Funktion bestimmter Zelltypen im Gehirn. Gleichzeitig lassen sich für einzelne Gruppen von Erkrankungen spezifischere neurobiologische Schwerpunkte erkennen, was darauf hindeutet, dass sich gemeinsame und differenzierende Mechanismen überlagern. Diese Struktur erklärt, warum psychische Erkrankungen in der klinischen Praxis häufig gemeinsam auftreten und warum Übergänge zwischen Diagnosen im Lebensverlauf keine Seltenheit sind.

    Aus diesen Befunden ergibt sich die Notwendigkeit, psychische Erkrankungen nicht ausschließlich anhand von Symptomen zu klassifizieren, sondern biologische Gemeinsamkeiten stärker zu berücksichtigen. Eine solche Perspektive könnte zu einer differenzierteren psychiatrischen Nosologie beitragen und die Entwicklung von Therapien fördern, die gezielt auf geteilte Ursachen und typische Komorbiditäten abzielen. Langfristig eröffnet dies die Möglichkeit einer präziseren, neurobiologisch fundierten Diagnostik und Behandlung psychischer Erkrankungen.

    Literatur

    Grotzinger, A. D., Werme, J., Peyrot, W. J., Frei, O., de Leeuw, C., Bicks, L. K., et al. (2025). Mapping the genetic landscape across 14 psychiatric disorders. Nature, doi:10.1038/s41586-025-09820-3


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