Die besten Ideen manifestieren sich bei Menschen mitunter spontan und ohne Vorankündigung, während sie sich mit einer gänzlich anderen Thematik befassen. Im Gegensatz zu motorischen oder visuellen Funktionen sind höhere kognitive Prozesse wie Kreativität nicht von einer spezifischen Hirnregion abhängig. Es existiert demnach kein „Kreativitätscortex”. Es ist jedoch bekannt, dass das Default Mode Network (DMN) ein weit verbreitetes, intrinsisches Hirnnetzwerk ist, dem eine entscheidende Rolle bei der inneren Steuerung kognitiver Prozesse zugeschrieben wird.
In einer Studie von Bartoli et al. (2024) wurde die Stereo-Elektroenzephalographie eingesetzt, um hochauflösende neuronale Aufzeichnungen über mehrere kanonische Default Mode Network-Regionen während zweier Prozesse zu erhalten, die mit kreativem Denken in Verbindung gebracht werden: spontanes und divergentes Denken. Die beiden mit dem Default Mode Network assoziierten höheren kognitiven Funktionen werden anhand von Gedankenspaziergängen bzw. alternativen Nutzungsaufgaben untersucht. Die Ergebnisse legen eine Rekrutierung des Default Mode Network während beider Aufgaben nahe und zeigen zudem eine aufgabenspezifische Dissoziation in der raum-zeitlichen Reaktionsdynamik. Im Vergleich zum Fronto-Parietalen Netzwerk wies die Aktivität des Default Mode Networks einen stärkeren Anstieg der Gamma-Band-Leistung (30-70 Hz) in Verbindung mit einer geringeren Theta-Band-Leistung (4-8 Hz) auf. Es konnte beobachtet werden, welche Prozesse innerhalb der ersten Millisekunden ablaufen, wenn Menschen versuchen, kreativ zu denken.
Es konnte ein signifikanter Aktivitätsunterschied zwischen den beiden Netzwerken während der Gedankenspaziergangsaufgabe beobachtet werden. Im Rahmen der Untersuchung des Default Mode Networks wurde festgestellt, dass die Aufgaben eine unterschiedliche Dynamik aufwiesen. Im Gegensatz dazu zeigten die Theta-Veränderungen bei der alternativen Nutzungsaufgabe keine räumlichen Unterschiede innerhalb des Default Mode Networks. Das Umherschweifen der Gedanken war demgegenüber mit einer frühen lateralen und späten dorsomedialen Beteiligung des Default Mode Networks assoziiert. Des Weiteren führte eine kausale Manipulation der Default Mode Network-Regionen durch direkte kortikale Stimulation zu einer Verringerung der Originalität der Antworten in der alternativen Nutzungsaufgabe, ohne dabei die Geläufigkeit oder das Umherschweifen der Gedanken zu beeinträchtigen. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die Aktivität des Default Mode Networks in Abhängigkeit von spezifischen kognitiven Prozessen flexibel moduliert wird, was seine kausale Rolle beim divergenten Denken stützt.
Bei ähnlichen, ungerichteten Denkprozessen wie dem Tagträumen ist das Netzwerk demnach ebenfalls aktiv, allerdings sind die im Test manipulierten Regionen nicht essenziell für diese Prozesse. Daher kann angenommen werden, dass Kreativität auf das Zusammenspiel des Default Mode Network mit anderen Hirnregionen angewiesen ist, während für das Tagträumen ausschließlich einzelne Teile des Default Mode Network benötigt werden. Die Ergebnisse geben Aufschluss über die neuronalen Grundlagen verschiedener kognitiver Prozesse und liefern kausale Belege für die Bedeutung des Default Mode Network bei der Generierung origineller Verbindungen zwischen Konzepten.
Literatur
Bartoli, Eleonora, Devara, Ethan, Dang, Huy Q, Rabinovich, Rikki, Mathura, Raissa K, Anand, Adrish, Pascuzzi, Bailey R, Adkinson, Joshua, Kenett, Yoed N, Bijanki, Kelly R, Sheth, Sameer A & Shofty, Ben (2024). Default mode network electrophysiological dynamics and causal role in creative thinking. Brain, doi:10.1093/brain/awae199.
Nachricht ::: Stangls Bemerkungen ::: Stangls Notizen ::: Impressum
Datenschutzerklärung ::: © Werner Stangl :::