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Wie Emotionen und Belohnungen das Erinnern formen

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    Das menschliche Gedächtnis ist weit mehr als ein mechanischer Speicher – es selektiert, filtert und formt Erinnerungen in Abhängigkeit von Emotionen, Bedeutungen und Kontexten. Besonders stark beeinflussen Gefühle, ob und wie wir Erlebnisse behalten. Eine aktuelle Metastudie von Lin et al. (2025) an der Boston University zeigt, dass emotionale Reize und Belohnungen wie ein Verstärker im Gehirn wirken und Erinnerungen nicht nur an zentrale Ereignisse, sondern auch an begleitende, scheinbar nebensächliche Details intensivieren. Grundlage der Untersuchung war die Auswertung von zehn Einzelstudien mit insgesamt 648 Teilnehmenden, die Aufgaben mit und ohne Belohnung lösten – beispielsweise das Zuordnen von Bildern zu Kategorien. Wurden richtige Antworten mit Punkten oder Geld belohnt, zeigten sich am Folgetag deutlich bessere Erinnerungsleistungen. Bemerkenswert war zudem, dass nicht nur die konkret belohnten Motive besser erinnert wurden, sondern auch ähnliche, unbezahlte Bilder. Mithilfe künstlicher Intelligenz konnten die Forschenden nachweisen, dass diese Verstärkungseffekte in einem graduellen Priorisierungsprozess entstehen: Das Gehirn „erhellt“ im übertragenen Sinne den emotional oder belohnungsrelevanten Moment und erweitert dieses Lichtfeld auf verwandte Gedächtnisinhalte. Damit wird deutlich, dass die emotionale Bedeutung einer Erfahrung eine Art „Aufmerksamkeitsfenster“ öffnet, durch das selbst flüchtige Eindrücke in das Langzeitgedächtnis übergehen können. Dieser Effekt tritt sowohl vor als auch nach dem Schlüsselerlebnis auf, wobei die Stärke der emotionalen oder motivierenden Komponente entscheidend ist.

    Die Ergebnisse stellen traditionelle Annahmen über Gedächtnisprozesse infrage, nach denen Erinnerungen als klar voneinander getrennte Einheiten betrachtet wurden. Stattdessen zeigt sich, dass das Gedächtnis dynamisch arbeitet und schwächere Erinnerungen bevorzugt stabilisiert, wenn sie semantische oder emotionale Ähnlichkeiten mit bedeutsamen Ereignissen teilen. Daraus ergeben sich weitreichende Implikationen: Emotionale und motivationale Faktoren könnten gezielt eingesetzt werden, um Lern- und Trainingsprozesse zu verbessern. Besonders in der Pädagogik und Neuropsychologie eröffnet dieses Wissen neue Perspektiven – etwa dafür, wie Belohnungssysteme oder emotionale Kontextualisierung helfen können, Wissen nachhaltiger zu verankern. Die Studie belegt somit, dass emotionale und belohnungsbasierte Erlebnisse als kognitive Verstärker fungieren, die das Erinnern formbar und situationsabhängig machen.

    Literatur

    Lin, C., Wen, W., Cheng, P. (X.), Schallies, S., Grover, S.,& Reinhart, R. M. G. (2025). Salient experiences enhance mundane memories through graded prioritization. Science Advances, 11(39), doi.10.1126/sciadv.ady1704


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