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Was ist eigentlich Aphantasie?

    Aphantasie bezeichnet die kognitive Besonderheit, keine mentalen Bilder erzeugen zu können – also ein völliges Fehlen visueller Vorstellungskraft. Etwa 4 % der Bevölkerung sind davon betroffen. Betroffene Personen sind nicht in der Lage, innere Bilder etwa von Landschaften, Gesichtern oder Objekten vor ihrem geistigen Auge zu visualisieren. Diese Fähigkeit wird von vielen Menschen als selbstverständlich wahrgenommen und spielt eine zentrale Rolle in Wahrnehmung, Gedächtnis und Imagination. Die genauen neuronalen Grundlagen der Aphantasie wurden lange kaum verstanden, doch eine aktuelle Studie bringt neue Erkenntnisse über die Unterschiede in der Gehirnaktivität und -struktur zwischen Menschen mit und ohne Aphantasie. Mithilfe hochauflösender 7-Tesla-fMRT-Technologie konnte nachgewiesen werden, dass bei mentalen Bildgebungsaufgaben bei aphantasischen Personen zwar ähnliche Hirnareale aktiviert werden wie bei Menschen mit typischer visueller Vorstellungskraft – insbesondere Netzwerke im Fronto-Parietal-Bereich (zuständig für Aufmerksamkeit, Bewusstsein und Arbeitsgedächtnis) sowie der linke Fusiform Gyrus im Temporallappen. Jedoch zeigen sich bei aphantasischen Personen signifikant schwächere funktionale Konnektivitäten zwischen diesen Regionen., was darauf hindeutet, dass nicht die Aktivierung selbst, sondern die Qualität und Integration der Signale zwischen den beteiligten Hirnnetzwerken entscheidend für das Erleben innerer Bilder ist. Insbesondere scheint der linke präfrontale Kortex eine zentrale Rolle im Bewusstsein visueller Erfahrungen zu spielen.

    Ein bemerkenswerter Befund der Studie ist, dass trotz des Fehlens visueller Vorstellungskraft das visuelle Wissen bei Menschen mit Aphantasie in der Regel intakt bleibt. Dies widerspricht der gängigen Annahme, dass mentale Bilder eine Voraussetzung für kognitiv anspruchsvolle Leistungen wie Kreativität, Konzeptualisierung oder Verständnis sind. Vielmehr zeigt sich, dass diese Leistungen auch ohne bewusste visuelle Imagination möglich sind. Die Studie legt somit nahe, dass mentale Bilder nicht zwangsläufig notwendig für die Vorstellungskraft oder kreative Prozesse sind, sondern eher eine Variante menschlicher Kognition darstellen.

    Literatur
    Stangl, W. (2025, 10. Juni). Aphantasie. Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik.
    https:// lexikon.stangl.eu/28335/aphantasie.
    Zeman, A., Dewar, M. & Della Sala, S. (2015). Lives without imagery – Congenital aphantasia. Cortex, 73, 378–380.

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