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Was ist die Wissensillusion?

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    Die Wissensillusion bezeichnet das psychologische Phänomen, bei dem Menschen glauben, ein Thema, einen Sachverhalt oder einen Mechanismus besser zu verstehen, als es tatsächlich der Fall ist. Diese Fehleinschätzung entsteht häufig, weil oberflächliche Vertrautheit, wiederholte Exposition oder das Gefühl von Verfügbarkeit im Gedächtnis fälschlicherweise als fundiertes Wissen interpretiert werden.

    Die Wissensillusion kann sich auf unterschiedlichste Bereiche beziehen – von technischen Abläufen über politische Zusammenhänge bis hin zu alltäglichen Gegenständen. Ein klassisches Beispiel ist das sogenannte „Illusion-of-Explanatory-Depth“-Paradigma: Befragte sind überzeugt, etwa die Funktionsweise eines Reißverschlusses, einer Toilettenspülung oder eines Fahrrads genau erklären zu können. Sobald sie jedoch aufgefordert werden, diese Erklärung tatsächlich zu formulieren, erkennen sie, wie bruchstückhaft ihr Wissen ist (Rozenblit & Keil, 2002). Ein weiteres Beispiel findet sich im Bereich digitaler Technologien: Viele Menschen überschätzen ihr Verständnis darüber, wie Verschlüsselung, Empfehlungssysteme oder Cloud-Speicher funktionieren, weil sie diese Technologien routinemäßig nutzen und dadurch ein Gefühl der Vertrautheit entsteht.

    Die Wissensillusion wirkt nicht nur auf individueller Ebene, sondern spielt auch in gesellschaftlichen Diskursen eine Rolle. So neigen Menschen dazu, komplexe politische Entscheidungen oder wissenschaftliche Fragen – etwa Klimapolitik oder Impfmechanismen – als weniger komplex einzuschätzen, wenn sie bereits starke Überzeugungen dazu haben. Dieser Effekt wird durch den sogenannten Dunning-Kruger-Effekt ergänzt, der beschreibt, dass Menschen mit geringer Expertise ihr Wissen tendenziell überschätzen, während Experten eher dazu neigen, ihre Kenntnisse zu unterschätzen (Dunning, 2011). Wissensillusionen können das Lernen behindern, weil sie den Anreiz reduzieren, sich vertieft mit einem Thema auseinanderzusetzen. Gleichzeitig beeinflussen sie Entscheidungen, Diskussionen und Risikowahrnehmungen. In der Pädagogik und Wissenschaftskommunikation gilt es daher als wichtig, Strategien zu entwickeln, die Menschen ermutigen, ihr eigenes Verständnis kritisch zu hinterfragen – zum Beispiel durch das Formulieren eigener Erklärungen, den Vergleich verschiedener Informationsquellen oder durch Metakognitionstrainings. Die Erforschung der Wissensillusion zeigt insgesamt, dass Wissen nicht nur ein kognitiver, sondern auch ein metakognitiver Prozess ist: Es kommt nicht nur darauf an, was Menschen wissen, sondern auch darauf, wie gut sie einschätzen können, was sie nicht wissen.

    Literatur

    Dunning, D. (2011). The Dunning–Kruger effect: On being ignorant of one’s own ignorance. Advances in Experimental Social Psychology, 44, 247–296.
    Rozenblit, L., & Keil, F. (2002). The misunderstood limits of folk science: An illusion of explanatory depth. Cognitive Science, 26(5), 521–562.


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