Empathie ist eine fundamentale soziale Fähigkeit, die es Menschen ermöglicht, sich in die Gedanken- und Gefühlswelt anderer hineinzuversetzen. Dabei ist das Einfühlen in andere jedoch nicht nur eine Frage der emotionalen Verfügbarkeit, sondern auch des kognitiven Aufwands, den diese Fähigkeit mit sich bringt. Eine Studie Moche et al. (2025) zeigt, dass Menschen eher bereit sind, Empathie gegenüber Gruppen als gegenüber Einzelpersonen zu zeigen – ein zunächst kontraintuitives Ergebnis, das auf wichtige psychologische Mechanismen verweist.
In dieser Untersuchung analysierten knapp 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer Fotos von Einzelpersonen und Gruppen. Dabei konnten sie zwischen einer sachlichen Beschreibung (Fokus auf äußerliche Merkmale) und einer empathischen Herangehensweise (Fokus auf mögliche Gefühle und Beweggründe) wählen. Die Ergebnisse zeigten, dass nur bei rund einem Drittel der Einzelpersonen eine empathische Perspektive eingenommen wurde. Bei Fotos von Gruppen hingegen zeigten über die Hälfte der Teilnehmenden Empathie. Interessanterweise entschieden sich die Probanden trotz höher eingeschätztem kognitiven Aufwand und emotionaler Belastung häufiger für Empathie gegenüber Gruppen als gegenüber Einzelpersonen.
Man erklärt diesen Unterschied mit dem Kontext, der in Gruppenbildern häufiger präsent ist als in Fotos einzelner neutral dreinblickender Menschen. Dieser Kontext könnte dabei helfen, schneller und intuitiver eine emotionale Verbindung herzustellen. Zudem wird vermutet, dass der soziale Druck oder die wahrgenommene Relevanz größerer Gruppen das Mitgefühl verstärken könnte – möglicherweise, weil Gruppen stärker als Repräsentanten gesellschaftlicher oder kollektiver Erfahrungen wahrgenommen werden. Zudem greift die Studie eine These früherer Forschung auf, wonach Empathie häufig vermieden wird, wenn sie als kognitiv und emotional kostspielig wahrgenommen wird. Gerade bei Einzelpersonen, deren Gesichtsausdruck keine klare emotionale Richtung vorgibt, empfinden Menschen offenbar eine größere Unsicherheit oder Ambivalenz beim Versuch des Einfühlens. Diese Unsicherheit könnte die Bereitschaft, sich überhaupt empathisch zu engagieren, verringern. In der Gruppenbedingung hingegen überwog offenbar der Nutzen oder das Bedürfnis nach sozialem Verständnis trotz der empfundenen Belastung.
Diese kontextuellen und motivationale Faktoren im Empathieerleben legen nahe, dass Empathie keine rein spontane Reaktion ist, sondern ein selektiver Prozess, der unter dem Einfluss kognitiver Einschätzungen und sozialer Wahrnehmung steht. Diese Erkenntnisse könnten weitreichende Implikationen für soziale Kommunikation, politische Kampagnen oder mediale Berichterstattung haben, insbesondere, wenn es darum geht, Mitgefühl für Individuen in Notlagen zu mobilisieren.
Literatur
Moche, H., Noryd, U., Rydén, S. & Västfjäll, D. (2025). To empathize with a group or an individual? Investigating the role of cognitive cost and distress in empathy choice. Frontiers in Psychology, 16, doi:10.3389/fpsyg.2025.1519113
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