Schuldgefühle gehören zu den häufigsten, gleichzeitig aber auch belastendsten Emotionen im menschlichen Leben. Während Schuld einerseits als moralischer Kompass dient, kann sie andererseits in übermäßiger Form zu psychischer Belastung führen. Eine Untersuchung von Luck & Luck-Sikorski (2022) beleuchtete auf Grundlage einer Online-Umfrage, wie unterschiedlich Erwachsene in Deutschland Schuld erleben und welche Ursachen dabei im Vordergrund stehen.
Die Studie erfasste qualitative Aussagen von 604 Erwachsenen im Alter zwischen 18 und 85 Jahren zu eigenen Schuldgefühlen, wobei insgesamt 1515 Gründe genannt wurden, die in 12 Superkategorien und 49 Einzeldimensionen untergliedert wurden. Am häufigsten wurden Schuldgefühle wegen „Lügen oder dem Verschweigen der Wahrheit“ geäußert, ein Grund, der besonders im mittleren Lebensalter dominant ist. Direkt dahinter rangierte das Bedauern, „nicht genug Zeit mit der Familie verbracht oder sich nicht ausreichend um sie gekümmert zu haben“. Diese Ursache wurde mit zunehmendem Alter besonders häufig genannt und scheint mit dem Wunsch nach familiärer Nähe und Rückschau auf ein gelungenes Leben zu korrelieren, also ein Motiv, das sich auch in Eriksons entwicklungspsychologischer Theorie wiederfindet, denn Erikson zufolge ist für ältere Erwachsene die Fähigkeit zur integrativen Rückschau für das Erleben von Lebenssinn und innerem Frieden entscheidend. Die meisten Schuldursachen bezogen sich jedoch auf sehr konkrete Situationen, etwa eigene Schwächen wie Faulheit, Unzuverlässigkeit oder Probleme in Beziehungen. Abstrakte oder gesellschaftliche Themen wie Umweltzerstörung oder globale Ungerechtigkeit spielten hingegen eine untergeordnete Rolle, wobei nur zwei Prozent der Gründe auf soziale oder globale Mitverantwortung entfielen, nur 0,4 Prozent auf religiös motivierte Schuldgefühle.
Die Ergebnisse zeigten auch deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern, den n Frauen berichteten häufiger von Schuldgefühlen gegenüber ihren Kindern oder nahen Familienangehörigen, was auf ein stärker ausgeprägtes Verantwortungsgefühl für das soziale Umfeld hinweist, während Männer häufiger Schuld in Bezug auf Fehler oder Konflikte in Partnerschaften nannten. Auch eine Affäre oder eine Trennung wurden bei Männern eher als belastend beschrieben, besonders in späteren Lebensphasen.
Da es sich um eine nicht-repräsentative Online-Befragung handelt, lässt sich zwar die Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse nur eingeschränkt beurteilen, doch stimmen zentrale Befunde mit jenen einer früheren, repräsentativen Telefonumfrage von Luck & Luck-Sikorski aus dem Jahr 2021 überein, denn es gaben etwa 68,5 Prozent der Befragten an, im Laufe ihres Lebens schon einmal Schuldgefühle empfunden zu haben, ein Wert, der sich in der aktuellen Online-Stichprobe mit 74 Prozent bestätigt.
Literatur
Luck, T., & Luck-Sikorski, C. (2022). The wide variety of reasons for feeling guilty in adults: Findings from a large cross-sectional web-based survey. BMC Psychology, 10, doi:10.1186/s40359-022-00908-3
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