In der Wissenschaft vermutete man schon lange, dass das psychische Empfinden körperliche Prozesse beeinflusst und dass auch die körperliche Wahrnehmung das seelische Geschehen beeinflusst. Neuere Untersuchungen zeigen, dass taktile Wahrnehmungen direkt und unmittelbar in Befinden und Verhalten durchschlagen, d.h., dass Begriffe wie „raue Sitten“, „hartes Herz“ oder „harte Bandagen“ nicht bloß Metaphern sind, sondern mehr oder minder wörtlich genommen werden müssen. Am ursprünglichten bemerkte man die Umgebung über die Temperatur, denn wer eine heiße Tasse Tee in der Hand hält, fühlt sich auch sozial wohl und geborgen, bei einem kalten Getränk stellen sich hingegen gegensätzliche Emotionen ein. In der Sprache äußert sich das in einem „warmen Empfang“ oder einer „kalten Schulter“, die jemandem gezeigt wird. Bei einem Test wurde der Kauf eines Gebrauchtwagens simuliert, wobei die Probanden und Probandinnen entweder auf harten oder weichen Sesseln saßen. Jene, die auf den harten Stühlen saßen, führten ihre Verhandlungen wesentlich härter.
Menschen denken also nicht nur mit dem Gehirn, sondern auch der Körper trägt im Zusammenspiel mit der Umwelt einen großen Teil zum Denkprozess und zur Meinungsbildung bei, was bedeutet, dass Erfahrungen, die man mit den fünf Sinnen seines Körpers wie Schmecken, Sehen, Riechen, Hören und Tasten macht, auch einen Einfluss darauf haben, wie man über eine konkrete Situation denkt, ohne, dass man sich dessen bewusst ist. So fand man heraus, dass warme Flüssigkeiten noch viel mehr bewirken können als nur den Körper aufzuwärmen, sondern sie verändern die Wahrnehmung und wirken sich auf das Urteilsvermögen aus. In einem Experimente bekamen Probanden zu Beginn entweder eine Tasse mit heißem Kaffee oder mit Eiskaffee, um ein haptisches Gefühl von Wärme oder Kälte bei den Probanden auszulösen. Einige Zeit später wurde den Probanden eine ihnen fremde Person vorgestellt, die sie beurteilen sollten. Alle Probanden nahmen dabei diese fremde Person deutlich positiver wahr, wenn sie ein warmes Getränk anstatt eines Eiskaffees in der Hand hielten. Warme Getränke sorgen demnach für ein angenehmes Gefühl, denn wenn man sie trinkt, fühlt man sich wohl und sicher, wobei genau dieses Gefühl auf die Menschen in der Umgebung übertragen wird. Die positive Wärmeerfahrung resultiert vermutlich daraus, dass Menschen die Wärme des Getränks mit dem Gefühl der Wärme aus der eigenen Kindheit verbinden, denn bereits kurz nach der Geburt lernen Säuglinge, wie körperliche Wärme sich auf das mentale Empfinden auswirkt. Mütter halten ihre Kinder im Arm, um ihnen Wärme und gleichzeitig ein Gefühl von Liebe und Geborgenheit zu geben, wodurch Kinder erfahren, dass physische Wärme meist in Zusammenhang mit psychischer Wärme auftritt, d. h., sie assoziieren körperliche Wärme mit seelischer Wärme. Gleiches gilt für die Beziehung von physischer und psychischer Kälte, denn Kinder, die wenig mütterliche Liebe und Wärme erfahren, weisen im Erwachsenenalter deutlich häufiger soziale Defizite auf. Auch Menschen, die einsam sind, fühlen sich daher häufig auch körperlich kalt und benutzen physische Wärme, damit es ihnen wieder besser geht.
Man erklärt den Einfluss der Umgebung auf Wahrnehmung und Verhalten damit, dass der Tastsinn mit Eindrücken von Weichheit, Härte, Kälte oder Wärme zu den ersten und ursprünglichsten Empfindungen im Kindesalter zählt, wobei diese Wahrnehmung auf abstrakter Ebene auch das Fühlen und Denken in Bezug auf Menschen oder soziale Beziehungen prägt. Die Vorstellung der Trennung von Körper und Geist stimmt somit auf einer fundamentalen Ebene ganz und gar nicht, vielmehr ist der menschliche Geist ist mit dem Körper tief und organisch verbunden. Körperliche Empfindungen formen daher nach Aussagen der Forscher nicht nur die Gedanken und die Wahrnehmung, sondern sie beeinflussen auch das Verhalten anderen Menschen gegenüber.
Der Tastsinns liefert Informationen über die Umwelt und beeinflusst dadurch unzählige Verhaltensweisen, doch anders als etwa beim Schmerzempfinden ist kaum bekannt, wie Gehirn und Nervensystem Berührungen verarbeiten. Paixão et al. (2019) haben nachgewiesen, dass der Tastsinn auch beim Koordinieren von Bewegungen hilft, denn bei Mäusen verarbeiten im Rückenmark spezielle Nervenzellen Berührungsinformationen und verfeinern die Bewegungen ihrer Beine, wobei dies in Abstimmung mit dem Gehirn geschieht und besonders unter herausfordernden Bedingungen wichtig ist. Dabei sind es Zic2-Nervenzellen im Rückenmark von Mäusen, die Bewegungsabläufe basierend auf Berührungsinformationen beeinflussen können, indem diese Zellen Informationen über leichte Berührungen und die Beschaffenheit von Oberflächen von Tastrezeptoren der Haut erhalten. Falls notwendig, können diese Zellen dann Bewegungen über Verbindungen zu den motorischen Nervenzellen des Rückenmarks beeinflussen, etwa einen Fuß zurückzuziehen, wenn etwas sticht. Die Zic2-Zellen leiten die Berührungsinformationen durch Nervenfortsätze vom Rückenmark aber auch direkt (bottom-up) zum Hirnstamm weiter, was die Berührungsempfindlichkeit der Tiere stark erhöht. Diese Zic2-Zellen im Rückenmark erhalten Informationen aber auch direkt aus dem motorischen Teil der Großhirnrinde und anderen Gehirnregionen, wobei dieser top-down Informationsfluss wichtig für die Feinabstimmung der Laufbewegungen ist. Mäuse sind gute Kletterer und können ohne Schwierigkeiten auf schmalen, glatten Balken balancieren, doch ohne die Berührungsinformationen der Zic2-Zellen konnten die Mäuse einen Balken zwar immer noch gut überqueren, doch rutschten sie dabei deutlich öfters aus. Man vermutet, dass ohne die Rückmeldung der Zic2-Zellen zur Beschaffenheit der Laufoberfläche das Gehirn Schwierigkeiten hätte, die Pfoten beim Klettern korrekt zu platzieren.
So paradox es auch klingen mag, auch Kälterezeptoren sind für das Wärmeempfinden entscheidend. Paricio-Montesinos et al. (2020) haben bei Mäusen, bei denen das Wärmeempfinden wie beim Menschen funktioniert, in deren somatosensorischen Wahrnehmung die neuronale Signalwege blockiert, bei denen man davon ausgeht, dass sie mit dem Wärmeempfinden in Verbindung stehen. Mäuse beginnen bei einer Erwärmung um ein Grad Celsius und bei einer Abkühlung um 0,5 Grad Celsius an einem Wasserspender zu lecken. Im Versuch begannen die Mäuse bei einer Temperaturerhöhung um zwei Grad am Wasserspender zu lecken, d. h., die Wahrnehmung war reduziert, aber nicht völlig ausgeschaltet. Daraus lässt sich schließen, dass diese Signalwege für das Wärmeempfinden zwar hilfreich, aber nicht zwingend erforderlich sind, und erst als die mit Abkühlung assoziierten Signalwege durch Ausschalten eines Gens blockiert wurden, konnten die Mäuse überhaupt keine Wärme mehr wahrnehmen. Offenbar existiert bei der Wärmewahrnehmung kein lineares Modell, bei dem die Rezeptoren nur als Reaktion auf Wärmereize feuern, sondern man vermutet bei Wirbeltieren nun ein duales sensorisches Modell zur eindeutigen Erkennung von Hauterwärmung. Ohne diesen zweiten Prozess würden Menschen vermutlich entweder viel länger brauchen, bis sie die Wärme registrieren, oder sie würden die Wärme überhaupt nicht wahrnehmen.
Literatur
Paixão, Sónia, Loschek, Laura, Gaitanos, Louise, Alcalà Morales, Pilar, Goulding, Martyn & Klein, Rüdiger (2019). Identification of Spinal Neurons Contributing to the Dorsal Column Projection Mediating Fine Touch and Corrective Motor Movements, Neuron, doi: 10.1016/j.neuron.2019.08.029.
Paricio-Montesinos, Ricardo, Schwaller, Frederick, Udhayachandran, Annapoorani, Rau, Florian, Walcher, Jan, Evangelista, Roberta, Vriens, Joris, Voets, Thomas, Poulet, James F.A., Lewin, Gary R. (2020). The Sensory Coding of Warm Perception. Neuron, doi:10.1016/j.neuron.2020.02.035.
Williams, L. E. & Bargh, J. A. (2008). Experiencing physical warmth promotes interpersonal warmth. Science, 322, 606-607.
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