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Szenarien der Erinnerungen im episodischen Gedächtnis

Das episodische Gedächtnis speichert bekanntlich Erinnerungen an spezifische, persönlich erlebte Ereignisse, und spielt später im Alltag eine wichtige Rolle in vielen sich wiederholenden Situationen, etwa beim Auswendiglernen eines Lernstoffes, beim Spazieren durch ein neues Stadtviertel aber auch beim Ausschmücken autobiografischer Inhalte. Dabei wurden solche Information aber nicht einzeln und explizit im Gedächtnis abgespeichert, d. h., sie sind später nicht direkt abrufbar, sondern die Informationen werden aus einem Szenario extrahiert, das während des Abrufs erst konstruiert wird, in den Beispielen etwa aus Szenarien vergleichbarer Lernstoffe, aus Szenarien früherer Stadtspaziergänge oder Erinnerungen an einen bestimmten Geburtstag vor vielen Jahren.

Erinnerung ist generell ein dynamischer und kreativer Prozess, denn was aus dem Gedächtnis abgerufen wird, kann sich oft deutlich von dem unterscheiden, was ursprünglich abgespeichert worden war. Dabei ist nach Untersuchungen (Zwissler et al., 2014) das episodische Gedächtnis besonders anfällig für Verzerrungen und Fehler, wobei vor allem Details betroffen sind. Das liegt vermutlich daran, dass das menschliche Gedächtnis eine Balance zwischen dem ökonomischen Umgang mit seiner Speicherkapazität und der benötigten Genauigkeit der Erinnerungen finden muss (Stangl, 2018).

Solche Szenarien sind mentale Simulationen von vergangenen Episoden und werden durch episodische Gedächtnisspuren gespeist, die die Quintessenz einer spezifischen Episode darstellen und die individuelle spezifische Weltsicht des Betreffenden abbilden. Diese Konstruktion von solchen Szenarien hilft vor allem dabei, Lücken und fehlende Daten eines konkreten Ereignisses in der Vergangenheit wieder aufzufüllen und das ermöglicht den Menschen, Erinnerungen an sich ändernde Anforderungen und Rahmenbedingungen leicht anzupassen, wobei diese daher stets durch soziale Erwartungen und auch das Selbstbild beeinflusst werden.

Szenarien sind daher letztlich Zukunftsentwürfe, die die Lebensbedingungen für Menschen zu einem bestimmten oder offen gelassenen Zeitpunkt beschreiben.


Griffiths et al. (2019) fanden jüngst, dass sich der Prozess des Erwerbs einer episodischen Erinnerung während des Gedächtnisabrufs umkehrt, wobei ein bidirektionaler Informationsfluss zwischen dem Neocortex und dem Hippocampus von grundlegender Bedeutung für die Bildung und den Abruf episodischer Erinnerungen ist. Die ForscherInnen vermuten nun, dass diese Kopplung den Informationsfluss vom Neocortex zum Hippocampus während der Gedächtnisbildung widerspiegelt, und die Vervollständigung des Hippocampus-Musters, die eine Wiederherstellung der Informationen im Neocortex während des Speicherabrufs bewirkt.

Literatur

Griffiths, Benjamin J., Parish, George, Roux, Frederic, Michelmann, Sebastian, van der Plas, Mircea, Kolibius, Luca D., Chelvarajah, Ramesh, Rollings, David T., Sawlani, Vijay, Hamer, Hajo, Gollwitzer, Stephanie, Kreiselmeyer, Gernot, Staresina, Bernhard, Wimber, Maria & Hanslmayr, Simon (2019). Directional coupling of slow and fast hippocampal gamma with neocortical alpha/beta oscillations in human episodic memory. Proceedings of the National Academy of Sciences, 116, doi:10.1073/pnas.1914180116.
Stangl, W. (2018). Stichwort: ‚episodisches Gedächtnis‘. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
WWW: https://lexikon.stangl.eu/809/episodische-gedaechtnis/ (2018-12-09)
Zwissler, Bastian, Sperber, Christoph, Aigeldinger, Sina, Schindler, Sebastian, Kissler, Johanna & Plewnia, Christian (2014). Shaping Memory Accuracy by Left Prefrontal Transcranial Direct Current Stimulation. The Journal of Neuroscience, 34, 4022-4026.


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