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Suchtpotential von Netflix & Co

Scheurer & Ernst (2016) bzw. Scheurer, Ernst & Rothlauf (2016) haben in Untersuchungen zum Suchtpotential von Serien wie Game of Thrones festgestellt, dass vor allem die Identifikation mit Serienhelden zur Abhängigkeit führen kann. Hinzu kommt, dass durch Streaming-Dienste zu jeder Tages- und Nachtzeit auf beliebig viele Unterhaltungsmedien zugegriffen werden kann, sodass die Beziehung bzw. die Identifikation der ZuschauerInnen zu den Charakteren einer Fernsehserie für die Entwicklung eines starken sozialen Zugehörigkeitsgefühls sorgt. Die Zuschauerinnen und Zuschauer betrachten die Figuren der Serien als vertraute Freunde, an deren Leben sie gefühlten Anteil haben, und wollen mit der Zeit immer mehr davon. Eine solche Beziehung zu fiktiven Figuren wird vor allem dann aufgebaut, wenn die Zuschauerinnen und Zuschauer Parallelen zu ihrer eigenen Person finden oder ihr Leben mit dem der Serienfigur vermischen. Das führt u. a. zum Binge Watching, also zum Betrachten mehrerer Serienfolgen am Stück. Bei solchen Serien fühlen sich die Zuschauerinnen und Zuschauer akzeptiert und weniger alleine, sie können deshalb nicht aufhören, sich eine bestimmte Fernsehserie immer weiter anzusehen. Eine Vielzahl dieser Sendungen basiert auf Drehbüchern, bei denen häufig Konflikte sozial oder gesellschaftlich benachteiligter Menschen im Fokus stehen. Es zeigte sich auch, dass die Wahrscheinlichkeit, eine Sucht nach Reality TV zu entwickeln, höher ist, wenn die Menschen ein geringes Selbstwertgefühl besitzen, während bei Menschen mit einer hohen Selbstakzeptanz dagegen andere Faktoren eine größere Rolle spielen, wie etwa das soziale Zugehörigkeitsgefühl, das ebenfalls die Sucht nach Fernsehserien begünstigt. So dient Reality TV auch dazu, dass die ZuschauerInnen ihre eigene Lebenssituation mit dem Leben von weniger erfolgreichen Personen, die im Fernsehen dargestellt werden, vergleichen, um dadurch ihr subjektives Wohlbefinden zu steigern.

Förderung des Binge watching durch Cliffhanger

Einen Cliffhanger nennt man die Situation am Ende eines Films, bei der die Handlung nach eine Lösung verlangt, der Zuschauer aber bis zur Fortsetzung hängen gelassen wird, d. h., er muss also warten, bis es weiter geht. Als Cliffhanger wird dabei daher der offene Ausgang einer Episode auf ihrem Höhepunkt bei Serials, Fernsehserien, Seifenopern oder mit planvoll fortgesetzten Kinofilmen bezeichnet, wobei die Handlung meist in der nächsten Episode fortgesetzt wird. Auch in der Literatur etwa bei Comics gibt es solche Cliffhanger. Im Cliffhanger-Projekt des Departement für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Freiburg wurden auch physiologische Daten erhoben und das Cortisol-Level vor, während und nach der Nutzung von solchen Serien untersucht und überprüft, ob es dabei Indikatoren für Stress gibt. Je komplexer das Narrativ war, je mehr Handlungsstränge sich verwoben, desto mehr führte eine Serie dazu, dass man sie spannend fand. Allerdings war nicht ausschlaggebend, wie eine Serie genau aufgebaut ist, sondern was dabei genau mit den NutzerInnen passiert, dass sie bzw. er starke Beziehungen zu den Charakteren entwickelt, d. h., wichtig sind die emotionalen Zustände, die dabei ausgelöst werden. Man geht daher auf Grund der Ergebnisse mehrerer Studien davon aus, dass Menschen Medien nutzen, um ihre Stimmungen in Balance zu bringen, d. h., wenn man gestresst ist, sucht man sich Medien aus, die etwas herunterholen und wenn man gelangweilt ist, sucht man etwas Stimulierendes. Wenn eine Serie dazu führt, dass man kein Gleichgewicht erreicht, weil am Ende immer noch etwas Aufregendes passiert, es also einen Cliffhanger gibt, die Szene besonders traurig macht oder aufwühlt, dann schaut man solange weiter, bis man wieder das Gleichgewicht erreicht. Wenn Serien gut gemacht sind, befindet man sich am Ende einer Folge daher nicht in einem Zustand, in dem man verbleiben möchte. Solche Serien sind daher so konstruiert, dass es eine interessante Geschichte innerhalb einer Episode gibt, aber auch eine Metageschichte, die wichtig ist für das Weiterschauen, weil man ja wissen will, wie es insgesamt weitergeht. Cliffhanger können dazu Wesentliches beitragen, aber natürlich auch, dass viele Serien character driven sind: Wie geht es mit den Figuren weiter, zu denen man eine Beziehung aufgebaut hat? Kann man sich mit ihnen identifizieren? Wie ambivalent sind sie? Zum guten Rezept solcher Serien gehört auch dazu, dass sich die Charaktere entwickeln. Viele Serien schaffen es auch, dass man weiterschaut, weil beim Abspann am Ende einer Folge das Fenster für die nächste aufgeht, so dass man neu getriggert ist, und wenn man nicht aktiv stoppt, fängt die nächste Folge automatisch an.

Literatur

Maren Scheurer & Claus-Peter H. Ernst (2016). A Study on the Role of Self-Esteem in Reality TV Addiction. “Séries et Dépendance II” in Paris, 8-10 December 2016.
Maren Scheurer, Claus-Peter H. Ernst & Franz Rothlauf (2016). TV Series Characters Are Almost Like Friends to Me – On the Influence of Perceived Belonging on TV Series
Addiction. “Séries et Dépendance II” in Paris, 5-6 February 2016.
https://idw-online.de/en/news?print=1&id=700952 (19-05-11)
https://www.unifr.ch/universitas/de/ausgaben/2020-2021/united-kingdom/nur-noch-eine-folge.html (21-11-06)


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