Musik ist eine Aufmerksamkeitskrake.
Stefan Kölsch
Klaus Ernst Behne untersucht 153 empirische Studien über Effekte von Hintergrundmusik auf außermusikalisches Verhalten, etwa die Konzentrationsleistung beim Lernen. Seit den 90er Jahren vergrößert sich die große Zahl von Studien ohne signifikanten Nachweis eines Effekts von Musik auf außermusikalisches Verhalten. Gegenwärtig nimmt offenbar die Wirkungslosigkeit von Musik zu, sodass etwa die Angewohnheit von Kindern, bei den Hausaufgaben Musik zu hören, weniger kritisch zu betrachten ist. Grund dafür könnte die Omnipräsenz von Musik in der Umwelt der Jugendlichen sein, wobei vor allem das Smartphone die Möglichkeit bietet, ohne großen technischen Aufwand immer und überall Musik zu hören, ebenso das Internet mit seinen reichhaltigen Musik-Download-Angeboten. Musik wird von den jugendlichen Konsumenten noch nicht einmal als Hintergrundmusik wahrgenommen, da so etwas wie eine Hornhaut auf den Ohren vieler Jugendlicher entstanden ist. Konzentration ist offensichtlich auch nicht mehr das, was sie einmal war 😉
Kurioses zum Musikhören beim Lernen: Der Neuropsychologe Lutz Jäncke, Professor an der Universität Zürich, hat erforscht, wie sich Musik auf das Gehirn auswirkt und warnt vor den Liedern von Helene Fischer, Andrea Berg, Andreas Gabalier, Matthias Reim, Maite Kelly oder Roland Kaiser. Er sagt, dass alle Lieder, die in Menschen Gefühle, Erinnerungen oder auch Ablehnung auslösen, eine schlechte Wahl für die Konzentration sind, denn niemand kann dabei eine mathematische Formel entwickeln. Das liegt daran, dass die Fans sich dabei an das letzte Konzert erinnern, während alle anderen den Schlagerstar vor sich sehen und genervt sind. Egel, ob Fan oder Nicht-Fan, in beiden Fällen hat das Gehirn keine Chance, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, denn fast automatisch richtet sich die Aufmerksamkeit auf das ausgelöste Gefühl oder die Erinnerung, die in diesem Moment viel attraktiver ist als alles andere.
Nach neueren Untersuchungen (Reaves et al., 2015) ist der Einfluss von Hintergrundmusik auf Lernleistungen bei jüngeren (18- bis 30-Jährige) und älteren Menschen (60- bis 75-Jährige) äußerst unterschiedlich. In einer Studie mussten sich die Versuchspersonnen Namen und Gesichter merken und waren dabei entweder der Stille, instrumentaler Hintergrundmusik und computergenerierter Berieselungsmusik ausgesetzt. Zwar gaben alle Untersuchten an, die Musik als ablenkend empfunden zu haben, die jungen Testpersonen hatten allerdings keine Schwierigkeiten mit der Lernaufgabe, denn ihre Leistungen zeigten in den verschiedenen Durchgängen nur geringe Unterschiede, während die Gruppe der älteren Studienteilnehmer sich an weniger Namen erinnerten, wenn sie Musik gehört hatten. Dabei gab es keine Unterschiede zwischen der Berieselungsmusik und der Instrumentalmusik. Offensichtlich sind Musikgeräusche an sich für die Beeinträchtigung der Erinnerungsleistung verantwortlich sind, nicht irgendeine bestimmte Musik. Ältere Menschen haben offenbar Schwierigkeiten bei der Verarbeitung irrelevanter Informationen, sich zu konzentrieren und irrelevante Geräusche zu ignorieren, wobei vermutlich das dafür zuständige assoziative Gedächtnis mit zunehmendem Alter nachlässt.
Untersuchungen (Ritter & Ferguson, 2017) haben übrigens einen inspirierenden Effekt von Musik auf divergentes Denken festgestellt. in einem Experiment teilte man Freiwillige in fünf Gruppen, wobei vier Gruppen einige Tests absolvierten, während sie von unterschiedlichen Musikstücken berieselt wurden, die fünfte Gruppe löste die Fragen ohne Musik. Bei dem Test waren divergentes Denken, das neue Ideen hervorbringt, und konvergentes Denken, bei dem es darum geht, korrekte Lösungen für ein Problem zu finden, gefordert. Es zeigte sich, dass die Probanden wesentlich kreativer waren, wenn sie einer positiven, stimmungshebenden Musik hörten, während Stille dagegen zu signifikant weniger Ideen inspirierte. Konvergentes Denken dagegen schien sich von keiner Musik anregen zu lassen, woraus man schließen kann, dass man konkrete logische Aufgaben eher in eine stillen Atmosphäre lösen sollte.
Hinweis: Der Tag gegen Lärm als eine Aktion der Deutschen Gesellschaft für Akustik (DEGA) findet seit 1998 jeden April statt, wobei sich das Datum am International Noise Awareness Day in den USA orientiert. Mittlerweile sind in Europa unter anderen Österreich, die Schweiz und Spanien beteiligt, denn seit 2002 gilt die EU-Umgebungslärmrichtlinie. Europaweit haben dazu Expertinnen und Experten Lärmkarten und Aktionspläne ausgearbeitet.
Literatur
Behne, Klaus Ernst (1998). Zu einer Theorie der Wirkungslosigkeit von (Hintergrund-)Musik. In Klaus-Ernst Behne, Günter Kleinen und Helga de la Motte-Haber (Hrsg.), Musikpsychologie. Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie. Wahrnehmung und Rezeption. Göttingen: Hogrefe.
Reaves, S., Graham, B., Grahn, J., Rabannifard, P. & Duarte, A. (2015). Turn Off the Music! Music Impairs Visual Associative Memory Performance in Older Adults. The Gerontologist, doi:10.1093/geront/gnu113.
Ritter, S. M. & Ferguson, S. (2017). Happy creativity: Listening to happy music facilitates divergent thinking. PLOS ONE, doi:10.1371/journal.pone.0182210.
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