Mithilfe einer Reihe klassischer Gedächtnisaufgaben wurde von Amici et al. (2019) die Gedächtnisleistung beim Abrufen von Wörtern, Zahlen und räumlichen Stimuli in verschiedenen Sprachen verglichen, wobei die Beziehung zwischen Sprache und Denken umstritten ist. Eine Hypothese besagt auch, dass Sprache Gewohnheiten der Verarbeitung von Informationen fördert, die selbst in nichtsprachlichen Bereichen erhalten bleiben.
Sprachen unterscheiden sich etwa in ihrer Verzweigungsrichtung, d. h., in typischen Rechtsverzweigungssprachen wie Italienisch steht der Satzkopf normalerweise an erster Stelle, gefolgt von einer Abfolge von Modifikatoren, die zusätzliche Informationen über den Kopf liefern (Beispiel: Der Mann, der an der Bushaltestelle saß), während in Linksverzweigungssprachen wie etwa Japanisch Modifikatoren im Allgemeinen den Köpfen vorangehen (Beispiel: Wer an der Bushaltestelle saß, der Mann).
Das bedeutet: In Rechtsverzweigungssprachen können Sprecher Informationen in der Reihenfolge verarbeiten, wie sie im Satz vorkommen, da Köpfe zuerst angezeigt werden und Modifikatoren Satzanalyse-Entscheidungen nur selten beeinflussen. Im Gegensatz dazu können die Strukturen von Linksverzweigungssprachen bis zum Ende sehr vieldeutig sein, da am Satzanfang stehende Modifikatoren oft erst nach der Analyse des Satzkopfes eine klare Bedeutung bekommen. Daher müssen Sprecher einer Linksverzweigungssprache möglicherweise am Anfang eines Satzes stehende Modifikatoren im Arbeitsgedächtnis behalten, bis der Kopf des Satzes zum Verständnis hinzugezogen wird.
In den Gedächtnistests zeigte sich, dass sich Sprecher linksverzweigter Sprachen bei verbalen und nicht verbalen Arbeitsgedächtnisaufgaben besser an anfängliche Reize erinnern können, weil das gewöhnliche Verstehen von Sätzen in Linksverzweigungssprachen in Echtzeit sehr stark davon abhängt, sich Informationen zu merken, die am Anfang stehen, was in Rechtsverzweigungssprachen nicht der Fall ist.
Offenbar ist eine Verbindung zwischen Sprache und Denken nicht nur auf konzeptuelle Repräsentationen und semantische Deutungsmöglichkeiten beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf die Syntax und ihre Rolle bei der Verarbeitung sequentieller Informationen. Die Sprache, die Menschen sprechen, beeinflusst also die Art, wie sie Informationen verarbeiten, speichern und abrufen.
Literatur
Amici, Federica, Sánchez-Amaro, Alex, Sebastián-Enesco, Carla, Cacchione, Trix, Allritz, Matthias, Salazar-Bonet, Juan & Rossano, Federico (2019). The word order of languages predicts native speakers’ working memory. Scientific Reports, doi:10.1038/s41598-018-37654-9.
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