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Sind wohlhabende Menschen vertrauenswürdiger?

Zwischenmenschliches Vertrauen hat weitreichende Auswirkungen auf unser gesellschaftliches Zusammenleben und individuelle Lebensergebnisse. Es beeinflusst Faktoren wie das Wirtschaftswachstum, die Funktionsweise unserer Demokratien und unser allgemeines Wohlbefinden. Das Vertrauensniveau variiert dabei nicht nur zwischen verschiedenen Ländern, sondern auch innerhalb ein und desselben Landes. Dies wirft die Frage auf, welche Faktoren dieses Vertrauen in andere Menschen prägen. Bisherige Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass der sozioökonomische Status eines Individuums eine entscheidende Rolle spielt. Demnach neigen wohlhabendere Bürger dazu, anderen Menschen tendenziell mehr Vertrauen entgegenzubringen.

Eine kürzlich veröffentlichte Studie von Boon-Falleur et al. (2024) ging im Zusammenhang mit dieser Frage noch einen Schritt weiter und untersuchte, ob Menschen auch umgekehrt wohlhabendere Personen als vertrauenswürdiger wahrnehmen. Für ihre Untersuchung sammelten die Forscherteam Daten aus acht verschiedenen Ländern: Brasilien, Kolumbien, der Demokratischen Republik Kongo, Indien, Nigeria, den Philippinen, Frankreich und Großbritannien. Mithilfe einer neuartigen Methodik, die Verzerrungen durch soziale Erwünschtheit vermeidet, ließen sie die Teilnehmer zunächst Fotos von eingerichteten Zimmern beurteilen. Anhand der abgebildeten Inneneinrichtung und Ausstattung konnten die Probanden den Wohlstand der dargestellten Haushalte recht zuverlässig einschätzen. Im nächsten Schritt untersuchte man, ob diese Einschätzung des Wohlstands auch mit der wahrgenommenen Vertrauenswürdigkeit der Bewohner in Verbindung steht. Hierzu präsentierten sie den Studienteilnehmern weitere Fotos, auf denen Personen zu sehen waren, und ließen sie diese hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit und Integrität beurteilen. Die Studie untersuchte dabei, ob die vermuteten Merkmale der hypothetischen Raumbewohner – wie zum Beispiel kooperatives Verhalten, Hilfsbereitschaft und Selbstkontrolle – einen Einfluss auf das Vertrauensurteil der Teilnehmer hatten. Es zeigte sich, dass das Vertrauen in die vermeintlichen Bewohner vor allem durch den Wohlstand des jeweiligen Haushalts beeinflusst wurde. Je wohlhabender der Haushalt erschien, desto eher wurden die Personen als vertrauenswürdig eingestuft. Dieses Ergebnis galt unabhängig vom tatsächlichen Wohlstand der Studienteilnehmer selbst. Die Arm-Reich-Stereotype wirkten also über die soziale Stellung derjenigen hinaus, die die Urteile fällten. Dieses Muster zeigte sich in allen untersuchten Ländern, von Brasilien bis Frankreich.

Die Frage, ob der Vertrauensvorschuss gegenüber wohlhabenden Menschen tatsachlich gerechtfertigt ist, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Manche Studien deuten darauf hin, dass gut situierte Menschen sich in der Tat eher prosozial und kooperativ verhalten. Allerdings kann der Befund, dass Vertrauen mit Wohlstand korreliert, auch negative Folgen haben: Wenn Armut das Vertrauen in andere reduziert, erschwert dies den Ausweg aus dieser Situation zusätzlich. Es könnte sich dann eine Art Teufelskreis entwickeln. Insgesamt zeigte die Studie, dass unbewusste Vorurteile und Stereotype einen starken Einfluss darauf haben, wie wir andere Menschen wahrnehmen und beurteilen. Dieses Phänomen scheint über Ländergrenzen hinweg zu existieren, und wirft die Frage auf, inwieweit Menschen in der Lage sind, solche unbewussten Bewertungsmuster zu erkennen und zu überwinden.

Literatur

Boon-Falleur, M., André, J.-B., Baumard, N., & Nettle, D. (2024). Household Wealth is Associated With Perceived Trustworthiness in a Diverse Set of Countries. Social Psychological and Personality Science, doi:10.1177/19485506241289461.


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