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Selbstgespräche aus psychologischer Perspektive

Selbstgespräche gelten in der Gesellschaft häufig als ungewöhnlich oder sogar als Zeichen von geistigem Verfall, insbesondere wenn sie mit älteren Menschen in Verbindung gebracht werden. Diese Vorstellung ist jedoch stark von Klischees geprägt, die auf unreflektierten Annahmen beruhen. Kinder sprechen bekanntlich den ganzen Tag zu sich selbst, sortieren Gedanken und reflektieren Geschehnisse, jedoch hören sie nach und nach damit auf, die Gedanken für sich laut zu artikulieren, ohne jedoch das eigentliche Gespräch mit sich selbst aufzugeben. Als Erwachsene schließlich führen sie meist innere Monologe, was eine verinnerlicht Form des Selbstgesprächs darstellt. Vor allem Singles und Einzelkinder greifen am ehesten auf die stille Unterhaltung zurück, manche Menschen sprechen mit ihren Haustieren, wenn sie sich allein fühlen, andere gehen innere Bindungen mit fiktiven Fernsehcharakteren ein, einige sprechen mit ihren Stofftieren oder mit Pflanzen, aber auch mit Gegenständen ihres täglichen Lebens. Dieser ständige Gedankenfluss enthält immer auch positive (angenehme) und negative (unangenehme) Elemente.

SelbstgespraecheIn der wissenschaftlichen Betrachtung, insbesondere der psychologischen Forschung, zeigt sich, dass Selbstgespräche keineswegs ein Anzeichen für Unzurechnungsfähigkeit sind, sondern vielmehr eine funktionale Strategie zur Verbesserung der mentalen und emotionalen Verarbeitung darstellen können. Tatsächlich gibt es zahlreiche Studien, die aufzeigen, dass das Sprechen mit sich selbst in verschiedenen Kontexten einen positiven Einfluss auf die Bewältigung von Stress, die Lösung von Problemen und die Steigerung der Selbstmotivation hat. Ein zentraler Aspekt von Selbstgesprächen ist der sogenannte Self-Distancing-Effekt, der in der Forschung von Kross und Ayduk (2017) untersucht wurde. Selbstdistanzierung bezeichnet die Praxis, sich selbst in schwierigen Situationen aus einer äußeren Perspektive zu betrachten, indem man die zweite Person anstelle des Ichs verwendet – etwa indem man sich selbst fragt: „Warum reagierst du so auf diese Situation?“ Diese Technik hilft dabei, Emotionen zu regulieren und die eigenen Gedanken objektiver zu analysieren. Der Effekt von Selbstdistanzierung ist insbesondere in stressigen oder emotional belastenden Situationen von Bedeutung, da er es ermöglicht, sich von der unmittelbaren Gefühlswelle zu distanzieren und eine ruhigere, überlegte Reaktion zu entwickeln.

Ein weiterer Vorteil von Selbstgesprächen zeigt sich in ihrer Fähigkeit, die Selbstkritik zu moderieren. Studien legen nahe, dass Selbstkritik, die nicht zu destruktiv wird, ein wichtiges Instrument für die persönliche Weiterentwicklung darstellt. Wird Selbstkritik jedoch laut ausgesprochen, fällt es leichter, zu erkennen, wenn die Kritik unangemessen oder übertrieben wird. In solchen Momenten fungiert das Aussprechen der eigenen Gedanken als eine Art Spiegel, der dabei hilft, die eigene Haltung zu hinterfragen und konstruktivere Perspektiven zu entwickeln. Laut Robert Kraft (2021) fördert das bewusste Sprechen mit sich selbst ein respektvolleres und achtsameres Verhältnis zu den eigenen Schwächen und Fehlern. Negative Gedanken wie Zweifel, Ärger oder Ängste haben zwar mitunter auch eine positive Schutzfunktion, stören aber häufig bei der erfolgreichen Ausführung von Handlungen. Selbstgespräche beeinflussen unter anderem die Befindlichkeit, Konzentration und Motivation. Oft ist es Menschen gar nicht bewusst, dass sie negative Gedanken entwickeln, d.h., man muss auch lernen darauf zu achten, was man in einer solchen Situation denkt. Bei negativen Gedanken sollte man sich gedanklich ein Stoppschild setzen und überlegen, wie man den Gedanken positiv formulieren kann.

Darüber hinaus kann das Sprechen mit sich selbst in der Problemlösungsphase hilfreich sein. Eine Untersuchung mit Rettungskräften, die unter hohem Druck arbeiten müssen, zeigte, dass lautes Nachdenken dazu beiträgt, Gedanken zu ordnen und logische Fehler schneller zu erkennen (Kraft, 2021). Indem man seine Überlegungen laut ausspricht, werden Gedankensprünge oder widersprüchliche Schlussfolgerungen sichtbar, die in einem rein inneren Denkprozess möglicherweise unentdeckt geblieben wären. Diese Erkenntnis lässt sich auf andere Kontexte übertragen, etwa beim Lernen oder der Arbeit an komplexen Aufgaben, bei denen eine klare Strukturierung und Reflexion der Gedanken erforderlich ist.

Ein weiteres wichtiges Einsatzgebiet von Selbstgesprächen ist die Verarbeitung vergangener Erlebnisse. Psychologische Studien haben gezeigt, dass das Nachsprechen von belastenden Erfahrungen dazu beitragen kann, diese aus einer distanzierten Perspektive zu betrachten und ein umfassenderes Verständnis zu entwickeln. Diese Technik reduziert die Gefahr, in Reue oder Bedauern zu versinken, und ermöglicht es, aus den eigenen Fehlern zu lernen. Dies steht im Einklang mit der Theorie der Selbstreflexion, die vorschlägt, dass das Benennen und Reflektieren eigener Erfahrungen eine gesündere und produktivere Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit fördert (Kross & Ayduk, 2017).

In stressigen oder herausfordernden Situationen kann das Führen von Selbstgesprächen zudem als eine Form der Selbstmotivation fungieren. Ein Experiment mit Basketballspielern zeigte, dass das Aussprechen von motivierenden Sätzen wie „Du schaffst das“ eine stärkere Wirkung auf die Leistung hatte als bloßes, inneres Zureden (Kraft, 2021). Dies verdeutlicht, wie Selbstgespräche als Mittel zur emotionalen Unterstützung dienen können, insbesondere in Momenten, in denen externe Bestätigung fehlt.

Die gesellschaftliche Wahrnehmung von Selbstgesprächen als ungewöhnlich oder gar negativ zeigt einen weiteren Widerspruch auf. Während das Führen eines Tagebuchs oder Journals als eine achtsame und gesunde Praxis angesehen wird, wird das laut geäußerte Nachdenken oft als sonderbar oder unnormal betrachtet. Tatsächlich ist das Führen von Selbstgesprächen in vielerlei Hinsicht ähnlich dem Schreiben, da beide Methoden dazu dienen, Gedanken zu ordnen und Klarheit über die eigene Wahrnehmung zu gewinnen. Es erscheint daher inkonsequent, das eine als förderlich für das psychische Wohl zu betrachten und das andere als ein Anzeichen für psychische Instabilität. Selbstgespräche können daher ein wertvolles Werkzeug zur Förderung der Selbstreflexion und der emotionalen Regulation darstellen, und es Menschen ermöglichen, die eigenen Gedanken und Gefühle aus einer distanzierten Perspektive zu betrachten, die Kommunikation mit sich selbst zu fördern und die eigene Leistung zu steigern. Indem man die negativen Assoziationen, die oft mit Selbstgesprächen verbunden sind, hinterfragt, knn man auch ein neues Verständnis für diese Praxis entwickeln und sie als eine gesunde Methode zur Selbstunterstützung anerkennen.

Wann können Selbstgespräche problematisch werden?

Obwohl Selbstgespräche in vielen Situationen förderlich sind, gibt es auch Momente, in denen sie kontraproduktiv wirken können. Zum Beispiel kann das öffentliche Sprechen mit sich selbst, insbesondere in sozialen Kontexten, unangenehm sein. Wenn man das Gefühl hat, beobachtet zu werden, oder sich für sein Verhalten schämt, kann dies den gewünschten Effekt – etwa die Beruhigung oder Konzentration – zunichte machen. In solchen Fällen können die eigenen Gefühle von Aufregung und Peinlichkeit den Nutzen der Selbstgespräche überschattet und sogar verstärken. Zudem könnte es problematisch werden, wenn jemand permanent auf Selbstgespräche angewiesen ist, um sich zu beruhigen oder zu fokussieren. Wenn Selbstgespräche die einzige Methode sind, um emotionalen Stress abzubauen oder klarer zu denken, könnte dies ein Hinweis darauf sein, dass tiefere emotionale oder psychische Konflikte bestehen. In solchen Fällen empfiehlt es sich, das Verhalten genauer zu hinterfragen und gegebenenfalls professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, um gesündere Bewältigungsstrategien zu entwickeln (Stangl, 2011).

Literatur

Kraft, R. (2021). 5 Situationen, in denen uns Selbstgespräche nützen können. Psychology Today.
Kross, E., & Ayduk, O. (2017). Self-Distancing: Theory, Research, and Current Directions. In J. M. Olson (Ed.), Advances in Experimental Social Psychology (Vol. 55, pp. 81-136). Academic Press.
Stangl, W. (2011, 26. März). Selbstgespräche: Ein nützliches Werkzeug für den Geist. arbeitsblätter news.
https:// arbeitsblaetter-news.stangl-taller.at/selbstgespraeche-ein-nuetzliches-werkzeug-fuer-den-geist/.
Stangl, W. (2014, 26. März). Positive Selbstgesprächsregulation. Lerntipps: Die Neuigkeiten.
https:// lerntipps.lerntipp.at/positive-selbstgespraechsregulation.


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