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Schuld und Schmerz

Bastian et al. (2011) konnte in einem Experimente zeigen, dass Schmerzen die evozierten Erinnerungen an Schuldgefühle von Menschen verringern, denn offenbar sehen Menschen Schmerzen als eine Möglichkeit, die Schuld für ein Vergehen zu begleichen. Bei dem Experiment sollten Studienteilnehmer (22 Männer und 40 Frauen um die 23 Jahre alt) ein Erlebnis aufzuschreiben, bei dem sie sich unmoralisch verhalten hatten, während die anderen Teilnehmer eine Alltagssituation schriftlich erinnerten. Danach hielten alle ihre Hände in Eiswasser, wobei die „Schuldigen“ ihre Hand länger ins Wasser hielten und durch diesen Schmerz ihre Schuldgefühle verringerten. Das Bewusstsein für das eigene Fehlverhalten verstärkte des Weiteren auch das Schmerzempfinden, denn die Schuldgruppe bewertete den durch das Eiswasser ausgelösten Schmerz als stärker als die Probanden und Probandinnen der Kontrollgruppe.
Offensichtlich kommt die jahrhundertealte Verknüpfung von Schmerz und Sühne aus der vor allem von Religionen tradierten Möglichkeit, für sein eigenes Vergehen zu bezahlen und ein subjektiv empfundenes Gerechtigkeitsgleichgewicht wiederherzustellen.  Schmerz hat damit also tatsächlich eine Art kathartische Wirkung etwa in Form einer psychologischen Währung, die man in die Waagschale werfen kann, um das gestörte Gleichgewicht im Gerechtigkeitsgefühl auszugleichen. In vielen Religionen gibt es bekanntlich die Vorstellung, dass man sich durch ritualisierte oder selbst zugefügte Schmerzen von seinen Sünden reinwaschen kann. Schmerz  ist zum einen der Preis, durch dessen Zahlung man seine moralische Reinheit wiederherstellen kann, und signalisiert möglicherweise auch anderen die eigene Reue, dass man also bereit ist, für ein begangenes Unrecht einen Preis zu bezahlen. Das Ertragen von Schmerz wird vermutlich auch als ein Zeichen der eigenen Stärke erlebt, das den Menschen hilft, das durch die Verfehlung ramponierte Selbstbild wiederherzustellen.

Siehe dazu auch Religion, Schuldgefühle und Angst

Stress und Entscheidungen

Die selbe Methode, nämlich die Hände in Eiswasser zu tauchen, nutzten Maier et al.  (2015), um die Wirkung einer moderaten Stresssituation im Gehirn auf Entscheidungen zu messen. Die Probanden mussten ihre Hand drei Minuten lang in Eiswasser tauchen. Danach zeigte man den Probanden Bilder von verschiedenen Nahrungsmitteln, zwischen denen diese wählen sollten, wobei ungesunde, aber schmackhafte Nahrungsmittel, gesundes, aber weniger schmackhaftes Essen einandner gegenübergestellt wurden. Alle Probanden hatten übrigens vorher angegeben, einen gesunden Lebensstil zu führen.
Die Teilnehmer, die vorher ihre Hand im Eis baden mussten, entschieden sich verstärkt für das ungesunde Essen, während die Kontrollgruppe eher bei ihren üblichen Ernährungsgewohnheiten blieb und gesündere Nahrungsmittel wählte. Da die Probanden während der Versuche mittels einer Magnetresonanztomographie vermessen wurden, konnte man auch die Folgen des Stress im Gehirn sichtbar machen. Es zeigte sich, dass bei den gestressten Teilnehmern zwischen den Arealemn, die für die Selbstkontrolle wichtig sind, bestimmte neuronale Verbindungsmuster verändert waren. etwa der Mandelkern, das Striatum und der für die Entscheidungsfindung wichtige dorsolaterale und ventromediale präfrontale Cortex. Man schließt daraus, dass offenbar sogar mäßiger Stress Entscheidungen beeinflussen kann. Das ist insofern bedeutsam, als moderate Stressfaktoren häufiger sind als extreme Ereignisse und daher die Selbstkontrolle häufiger beeinflussen.

Literatur
Bastian, B., Jetten, J., & Fasoli, F. (2011). Cleansing the soul by hurting the flesh: The guilt reducing effect of pain. Psychological Science.
Maier, S. U., Makwana, A. B.  & Hare, T. A.  (2015). Acute Stress Impairs Self-Control in Goal-Directed Choice by Altering Multiple Functional Connections within the Brain’s Decision Circuits. Neuron, 87, 621–631.


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