Körperästhetik im Wandel der Zeit
Schlankheit war bereits in den 20er Jahren Schönheitsideal. In den 50er Jahren kamen schlanke Frauen mit üppigen Kurven in Mode. Schlankheit war immer ein Zeichen für Emanzipation. Durch „Twiggy“ wurde erstmals eine „magere“ Frau zum Ideal erhoben. In den 80er Jahren wurde dann der muskulöse Frauenkörper modern.
Das aktuelle Schönheitsideal
Durchgehend schlanke und straffe Körperformen sind heute gefragt. Man spricht auch vom Unisex-Körper oder dem Vermännlichungsphänomen.
Das persönliche Glück wird heute über die körperliche Erscheinung definiert. Noch nie war die Vorstellung von Schönheitsidealen so einheitlich wie in unserer gegenwärtigen Gesellschaft.
Definition von Bulimie
Großteils wird Bulimie als eine Essstörung mit Heißhungerattacken und einem darauf folgenden selbstinduzierten Erbrechen in Verbindung mit einem Abführmittelmissbrauch bzw. Substanzmissbrauch bezeichnet.
Formen der Bulimie
Der häufigere Purging-Typ führt nach den Essanfällen Erbrechen herbei, um eine Gewichtszunahme zu verhindern, während der Non-Purging-Typ andere Methoden wie exzessives Fasten und Sport anwendet. Bei beiden Formen besteht in der Regel kein Über- oder Untergewicht, dennoch fühlen sich die Betroffenen zu dick, da sie das Völlegefühl nach den Essanfällen als äußerst unangenehm empfinden und sich Menschen mit dem Purging-Typ durch Erbrechen Erleichterung verschaffen wollen. Häufig treten jedoch Mischformen mit anderen Essstörungen auf, z.B. mit Orthorexie, Anorexie und der Binge-Eating-Störung.
Symptomatik von Bulimie
In einer zu Beginn der 80er Jahre von ZIOLKO durchgeführten Studie zeigte, dass die meisten betroffenen Frauen einen oder mehrere Essensanfälle pro Tag haben. Dieser findet vorzugsweise in den Abendstunden statt und dauert von 15 Minuten bis zu erstaunlichen 43 Stunden. Bei einem Heißhungeranfall werden ca. 1 000 bis zu 55 000 (!!!) Kalorien zu sich genommen.
Die Bulimieerkrankung entwickelt sich dabei schleichend und verdeckt. Die Umwelt hat lange keine Kenntnisse von den Essproblemen der Betroffenen, da sich bulimische Frauen nach außen meist unauffällig bis perfektionistisch verhalten und eine enorme Leistungsfähigkeit aufweisen. Typisch ist die Heimlichkeit, in der das Verhalten abläuft, denn in der Öffentlichkeit demonstrieren die Betroffenen einen maßvollen und zurückhaltenden Umgang mit der Nahrungsaufnahme.
Ätiologie von Bulimie
Individuelle Voraussetzungen
Bulimikerinnen haben häufig ein geringes Selbstwertgefühl, verbunden mit einem Gefühl der Fremdkontrolle. Sie widmen ihrem Aussehen eine verstärkte Aufmerksamkeit und leben daher in einer ständigen Angst vor einer Gewichtszunahme. Nach FOCKS entwickeln bulimische Frauen weiters eine besondere psychische Disposition, wobei sie ein verstärktes Bedürfnis nach Anerkennung haben.
Familiäre Voraussetzungen
Viele betroffene Frauen fühlen sich für das Glück und die Zufriedenheit ihrer Eltern verantwortlich. In der Familienstruktur sind die Rollen der Mitglieder verstärkt auf Geschlechtsstereotypen ausgerichtet. Die persönliche Interaktion findet großteils nur zur Mutter statt, da die Väter berufsbedingt wenig Zeit für ihre Familie haben. Materieller Wohlstand nimmt eine zentrale Bedeutung innerhalb der Familie ein. In solchen Familienstrukturen zählen Werte wie Fleiß, Anstand, Pflichterfüllung, Leistung, Ordnung und Bildung.
Soziokulturelle Voraussetzungen
Hat die Natur nicht von sich aus optimal vorgebaut, so wird ein schlanker Körper durch Verlust eines genussvollen Essens herbeigeführt. Bulimie erscheint für viele Frauen die perfekte Lösung zu sein um dauerhaft schlank zu sein.
Der Höhepunkt der Erstmanifestation von Bulimie liegt in der Adoleszenz. Eine bedeutende Rolle spielen bei jungen Frauen Identifikationsschwierigkeiten bei der eigenen Geschlechterrolle.
Folgen von Bulimie
Gesundheitliche Folgen
Der Verzehr von großen Nahrungsmengen innerhalb kurzer Zeit bedeutet eine große Belastung für den Magen. Die Folgen reichen von Völlegefühl und Bauchschmerzen bis hin zu einer Erweiterung des Magens. Weiters kommt es zu einer Störung der Magenentleerung und einer Verzögerung der Darmpassage, deren unangenehme jedoch noch harmlose Konsequenzen Durchfall, Blähungen oder Verstopfung sein können.
Häufiges Erbrechen sowie abführende und entwässernde Produkte führen zu Flüssigkeits- und Elektrolytverlust. Über einen längeren Zeitraum kann dies zu Herzrhythmusstörungen, Nierenversagen oder Muskellähmungen führen. Weiters wird durch den hohen Säuregehalt des Erbrochenen der Zahnschmelz stark angegriffen, aber auch ein wunder Rachen, Mund- und Zahnfleischgeschwüre, wie etwa eine Schädigung der Schleimhaut und/oder Speiseröhre können auftreten.
Psychische Folgen
Als psychische Folgen lassen sich schwere Schuld- und Schamgefühle, die Bulimikerinnen häufig entwickeln, anführen. Diese Gefühle richten sich einerseits gegen das Essverhalten und sind andererseits mit der Erkenntnis der Unkontrollierbarkeit ihres Essverhaltens verbunden. Viele Ess-Brechsüchtige leiden unter starken Stimmungsschwankungen, Gefühlen wie Wert- und Sinnlosigkeit sowie Depressionen mit Suizidgedanken.
Soziale Folgen
Die Betroffenen halten ihre Bulimie oft sehr lange geheim, was einen sozialen Rückzug begünstigt, der zur Vereinsamung und im Extremfall zu sozialer Isolation führen kann.
Ökonomische Folgen
Die ökonomische Situation der Betroffenen kann durch das exzessive Essverhalten beeinträchtigt werden, da die Aufnahme großer Mengen von Nahrungsmitteln einen hohen Kostenaufwand erfordert, der zu einer finanziellen Belastung werden kann.
Behandlung und Therapie von Bulimie
Die organische Behandlung
Die organische Behandlung von Bulimie konzentriert sich ausschließlich auf die Symptome und ihre sekundären Wirkungen. Zur Bekämpfung der Symptome werden appetit- sowie verdauungsfördernde Mittel verabreicht.
Die psychotherapeutische Behandlung
Es ist wichtig, die komplexen Interaktionen zwischen den Patienten und denen, die mit ihnen leben zu untersuchen und zu ändern. Die systemische Familientherapie ist eine der wirkungsvollsten Behandlungsmethoden bei Essstörungen. Hier bei geht es darum innerfamiliäre Kommunikationsstörungen, verstrickte Beziehungsmuster und Themen, die in der Familie tabuisiert werden, aufzudecken und zu lösen.
Präventionsarbeit
Primärprävention wendet sich an Personengruppen, die keine besonderen Risikogruppen darstellen und bei denen das relevante Problem noch nicht aufgetreten ist. Sie zielt darauf ab sicherzustellen, dass eine Störung gar nicht erst auftreten wird.
Sekundärprävention wendet sich an Risikogruppen und an Gruppen, bei denen das relevante Problem schon existiert, aber noch nicht voll ausgebildet ist, um die volle Problemmanifestation zu verhindern, sowie an deren Umfeld. Sie zielt auf die Identifikation und Beendigung oder Verbesserung bei Störungen, Prozessen oder Problemen zum ehest möglichen Zeitpunkt.
Tertiärprävention – Typ A wendet sich an Menschen mit einem relevanten Suchtproblem, um es mit ihnen gemeinsam zu lösen, zu minimieren oder zumindest eine weitere Verschlechterung zu verhindern. Sie zielt auf die Beendigung oder zumindest Verlangsamung der Entwicklung von Störungen und den daraus resultierenden Folgen, auch wen die Ursache dafür weiterexistiert.
Tertiärprävention – Typ B wendet sich an Personen, die ihr Suchtproblem erfolgreich bewältigt haben, und bietet Unterstützung, damit dieser Problemlösungsprozess ein dauerhafter und nachhaltiger bleibt, sowie an deren Umfeld.
Weiterführende Literatur
Böhme-Bloem, C.; Schulte, M. (1990). Bulimie: Entwicklungsgeschichte und Therapie aus psychoanalytischer Sicht. Stuttgart: Georg Thieme Verlag.
Buhl, C. (1991). Magersucht und Esssucht – Ursachen/Beispiele/Behandlungen. Stuttgart: Trias Hippokrates Verlag.
Cuntz, U.; Hillert, A. (1998). Essstörungen: Ursachen, Symptome, Therapien. München: Beck’sche Reihe.
Dannigkeit, N.; Köster, G., Tuschen-Caffier, B. (2002). Prävention von Essstörungen – Ein Trainingsprogramm für Schulen. In: Röhrle, B. (Hrsg.): Prävention und Gesundheitsförderung Bd. II. Fortschritte der Gemeindepsychologie und Gesundheitsförderung. Tübingen: dgvt-Verlag.
Focks, P. (1994). Das andere Gesicht: Bulimie als Konfliktlösungsstrategie für Frauen. Frankfurt am Main: Campus Verlag.
Gerlinghoff, M.; Backmund, H. (1997). Der heimliche Heißhunger. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.
Gerlinghoff, M.; Backmund, H. (2001). Der heimliche Heißhunger. Wenn Essen nicht satt macht. Bulimie. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.
Westenhöfer, J. (1996). Gezügeltes Essen und Störbarkeit des Essverhaltens. Göttingen: Hogrefe-Verlag.
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