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Rollenhandeln und Identität

Krappmann (2000) geht davon aus, dass jeder Mensch sich in unterschiedlichen Kommunikationsprozessen je nach Interaktionspartner unterschiedlich verhält. Der Mensch befindet sich bei einer solchen Interaktion in einem gewissen Dilemma, denn obwohl gemeinsames Handeln und Kommunikation auf der einen Seite voraussetzen, dass sich die Partner in Handlungsorientierung und Sprache einander angleichen, muss jeder dennoch auf der anderen Seite seine Identität verdeutlichen, also wer er ist, um den Ablauf einer solche Interaktion vorhersehbar und planbar zu machen. Dadurch entsteht eine Art Aushandeln der Identität, wobei es verschiedene Identitäten gibt: die personale Identität als Kombination von Merkmalen, die nur auf ein Individuum zutreffen, und die soziale Identität, die sich an den Erwartungen an eine gewisse Position, also der Stellung in der Gesellschaft, orientiert. Aus dieser in der Interaktion ausgehandeltn Balance zwischen personaler und sozialer Identität entsteht letztlich die Ich-Identität. Identität ist demnach etwas dynamisches, veränderbares, das sich mit jedem Kommunikations- und Interaktionsprozess neu definiert. Dazu sind vier Grundqualifikationen notwendig:

  • Role taking und Empathie: Die Fähigkeit, Gedanken, Emotionen, Absichten und Persönlichkeitsmerkmale eines anderen Menschen zu erkennen und zu verstehen.
    Wie bei der Rollendistanz, kann Empathie die Identitätsbildung fördern, setzt aber auch voraus, dass schon ein Teil der Identität gebildet wurde, d. h., Empathie ist sowohl Vorraussetzung wie Korrelat von Ich-Identität.
  • Rollendistanz: Die Fähigkeit, Normen oder Rollenerwartungen wahrzunehmen, sie zu interpretieren und mit ihnen reflektierend so umzugehen, dass die eigenen Bedürfnisse in das Geschehen eingebracht werden können. Und somit in einem kritischen Verhältnis gegenüber seiner eingenommenen Rolle zu stehen.
  • Ambiguitätstoleranz: Die Fähigkeit Widersprüchlichkeiten, kulturell bedingte Unterschiede oder mehrdeutige Informationen, die schwer verständlich oder sogar inakzeptabel erscheinen, wahrzunehmen und nicht negativ oder vorbehaltlos positiv zu bewerten.
  • Identitätsdarstellung: Die Fähigkeit, anderen seine Identität darzustellen und zu präsentieren.

Identitäten bilden sich immer entlang des Kontextes von gesellschaftlichen Wertigkeiten, die ein oben und ein unten, ein besser und ein schlechter mitbedingen. Identität ist demnach nicht etwas, was man hat und dessen man sich im Prozess einer wie auch immer vorgestellten Adoleszenz bewusst werden muss, oder das sich entlang natürlicher Prozesse bilden muss, sondern Identitätsbildungen sind häufig persönliche Reaktionen auf Einschränkungen und Verletzungen. Diese Beeinträchtigungen geschehen in der Regel im Kontext bereits kursierender diskursiver Identitätsansprüche, wobei eine Identität zu haben und diese zu verteidigen angeblich dem Leben wie aber auch dem Leiden erst einen Sinn gibt. Das häufig und global vertretene Konzept einer eindeutigen Identität von Menschen, Nationen, Bevölkerungsgruppen ist daher eher kritisch bzw. ambivalent zu betrachten. Vielmehr sollte man eher danach fragen, welche Bedingungen es sind, die Identifikationen überhaupt ermöglichen, aber auch zu untersuchen, wie diese Bedingungen durch Identifikationen erst erzeugt werden. Die Beziehungen, die Menschen zu sich selbst unterhalten müssen, sind keine Identitätsbeziehungen, sondern sie sollten eher Beziehungen der Differenzierung, der Schöpfung und der Innovation sein, denn es ist sehr langweilig, immer derselbe zu sein (Stangl, 2003).

Literatur
Krappmann, L. (2000). Soziologische Dimensionen der Identität. Strukturelle Bedingungen für die Teilnahme an Interaktionsprozessen. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag.
Stangl, W. (2003). Stichwort: ‚Identität‘. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
WWW: https://lexikon.stangl.eu/522/identitaet/ (03-05-03)

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