In der Welt der Wissenschaft gilt objektive Erkenntnis als oberstes Gebot, dennoch zeigt sich immer wieder, dass wissenschaftliche Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten nicht allein auf empirischen Daten oder methodischen Differenzen beruhen. Eine jüngst veröffentlichte Studie von Sulik et al. (2025) wirft ein neues Licht auf die Ursprünge solcher wissenschaftlichen Gräben. Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass auch persönliche kognitive Eigenschaften von Forschenden eine entscheidende Rolle dabei spielen, welche wissenschaftlichen Überzeugungen sie vertreten und wie sie die Welt deuten.
In einer umfassenden Online-Umfrage unter 7.973 Forschenden aus der Psychologie und angrenzenden Disziplinen erfasste man nicht nur Positionen zu 16 kontroversen Themen – darunter etwa die Frage, ob Sprache das Denken beeinflusst oder ob der Mensch primär egoistisch handelt –, sondern auch die kognitiven Denkstile der Teilnehmenden. Diese Denkstile umfassten unter anderem die Toleranz gegenüber Widersprüchen, die Vorliebe für verbale oder bildhafte Informationsverarbeitung sowie das Maß an analytischem Denken.
Die statistische Auswertung dieser Daten offenbarte klare Zusammenhänge: Forschende, die eine geringe Toleranz für Widersprüche aufwiesen, neigten dazu, biologistische Erklärungen für psychologische Phänomene zu bevorzugen. Sie hielten psychische Eigenschaften häufiger für angeboren und betrachteten biologische Faktoren als maßgeblich. Im Gegensatz dazu betonten Forscherinnen und Forscher mit einer hohen Ambiguitätstoleranz stärker die Bedeutung des sozialen Kontexts und lehnten technologische Analogien – wie den Vergleich des Gehirns mit einem Computer – eher ab. Ebenso zeigte sich, dass Menschen mit einer eher sprachlich geprägten kognitiven Verarbeitung eher die Auffassung vertraten, dass Sprache das Denken strukturiert.
Ein weiteres bemerkenswertes Ergebnis war, dass Forschende mit ausgeprägtem analytischem Denkstil und einem besonderen Sinn für Struktur und Planung den Menschen tendenziell als rationalen, eigennützigen Agenten beschrieben, also ein Bild, das dem Modell des „Homo oeconomicus“ entspricht. Diese Denkweise ist besonders unter Wissenschaftlern verbreitet, die logisches, strukturiertes Arbeiten bevorzugen.
Diese Erkenntnisse legen nahe, dass wissenschaftliche Überzeugungen nicht im luftleeren Raum entstehen, sondern tief in der kognitiven Disposition der Forschenden verwurzelt sind. Die Studie stellt damit eine Herausforderung für das klassische Bild der objektiven Wissenschaft dar, die allein auf Daten und Logik basiert. Vielmehr offenbart sie, dass die Persönlichkeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern selbst Teil des Forschungsprozesses ist und möglicherweise beeinflusst, welche Fragestellungen sie als relevant empfinden, welche Hypothesen sie entwickeln und welche Theorien sie bevorzugen.
Insgesamt bietet die Studie von Sulik et al. (2025) einen faszinierenden Einblick in die Psychologie der Wissenschaft und zeigt, dass hinter jeder scheinbar rein sachlichen Debatte auch persönliche Denk- und Wahrnehmungsmuster stehen. Dies hat weitreichende Implikationen – etwa für die interdisziplinäre Zusammenarbeit, für die Gestaltung wissenschaftlicher Diskurse und nicht zuletzt für unser Verständnis von Objektivität in der Forschung.
Literatur
Sulik, J., Rim, N., Pontikes, E., Evans, J. & Lupyan, G. (2025). Differences in psychologists’ cognitive traits are associated with scientific divides. Nature Human Behaviour., doi:10.1038/s41562-025-02153-1
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