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Kann man mit Rückwärtszählen Schmerzen lindern?

Bisherige Untersuchungen zeigten, dass eine erhöhte Aufmerksamkeit und emotionale Faktoren das Schmerzempfinden verstärken können, denn konzentriert man sich auf den Schmerz, erscheint er oft schlimmer, während es andererseits Hinweise darauf gibt, dass Ablenkung die Schmerzen dämpfen kann. Allerdings ist die genaue Art, wie sich dabei die Vernetzungen im gesamten Gehirn verändern, insbesondere bei sich lindernden Schmerzen, noch unklar, sodass nun von Schulz et al. (2020) untersuchten, wie kognitive Interventionen bzw. kognitive Strategien zur Schmerzlinderung die Gehirnaktivität beeinflussen können. Man fügte in dem Versuch Probanden jeweils einen kurzen Kälteschmerz zu, währenddessen die Versuchspersonen zur Schmerzlinderung eine von drei Denkstrategien anwenden sollten: von eintausend in Siebener-Schritten rückwärts zählen, sich gedanklich etwas Schönes vorstellen oder sich selbst als eine Art Autosuggestion einreden, dass die Kälte nicht schmerzt. Im Anschluss daran schätzten die Probanden die Schmerzintensität und damit die Wirksamkeit der verschiedenen Strategien zur Schmerzlinderung mithilfe einer Schmerzskala von null bis hundert ein. Über alle Bedingungen hinweg stellte man fest, dass eine höhere Leistung der Schmerzdämpfung überwiegend mit einer höheren funktionellen Konnektivität im Gehirn assoziiert war. Dabei wies die Gehirnaktivität für jede der drei kognitiven Strategien ein eigenes Muster auf, denn bei der Aufgabe, sich etwas Schönes vorzustellen, fand man aktive Vernetzungen über alle cortikalen Hirnregionen verglichen zu einem unmodulierten Schmerzzustand, wobei sich eine besonders erhöhte Aktivität in den Stirnlappen zeigte.

Bei der Zählaufgabe fanden man eine große Zahl an sehr gut vernetzten Regionen, die direkt und indirekt zur Schmerzreduktion beitragen, wozu vor allem Regionen zählten, die großflächig auf der Großhirnrinde liegen und für die Verarbeitung somatischer und visueller Reize verantwortlich sind. Außerdem wurde die rechte mittlere Inselrinde der Großhirnrinde verstärkt für den Abruf des mathematischen Wissens angeregt. Da beim Rückwärtszählen beide Hirnhälften miteinander kommunizieren, verdrängten die Probanden den Schmerz, denn einige der beteiligten Hirnregionen werden zur Lösung der mathematischen Aufgabe aktiviert, aber auch die Regionen der visuellen Wahrnehmung wurden erregt, weil sich die Probanden die Zahlen bildlich im Kopf vorstellten. Als besonders erstaunlich stellte sich heraus, dass zusätzlich auch ein Teil der Gehirnarealen, die Schmerzen verarbeiten und so zu verminderten Schmerzempfindungen führen daran beteiligt waren. Im Vergleich zu dieser hohen Aktivität beider Gehirnhälften gelang die Schmerzlinderung durch die gedankliche Vorstellung von etwas Schönem hingegen nur durch den Austausch mit dem Stirnlappen. Da der Stirnlappen eine wichtige Kontrollinstanz im Gehirn ist, vermutet man, dass diese gedankliche Vorstellung von etwas Schönem möglicherweise mehr Kontrolle erfordert, weil das Gehirn mehr Erinnerungen durchsuchen muss, bis es die richtige findet, während Zählen eine vergleichsweise klare Anforderung ist. Darüber hinaus zeigte sich, dass Schmerzempfinden und Schmerzlinderung offenbar ein so komplexer Prozess ist, sodass zahlreiche über das ganze Gehirn verteilte Regionen kooperieren müssen.

Literatur

Schulz, Enrico, Stankewitz, Anne, Winkler, Anderson M, Irving, Stephanie, Witkovský, Viktor, Tracey, Irene, Kuner, Rohini & Büchel, Christian (2020). Ultra-high-field imaging reveals increased whole brain connectivity underpins cognitive strategies that attenuate pain. eLife, 9, doi:10.7554/eLife.55028.
https://www.uni-muenchen.de/forschung/news/2020/schulz_schmerz.html (20-09-24)


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