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Indirekte Wirkung von Mediengewalt

Einer der Gründe, warum der Einfluss von medialen Gewaltdarstellungen oft bezweifelt wird, ist die irrtümliche Annahme, dass die Wirkung sowohl unmittelbar als auch schwerwiegend sein müsse, etwa indem jemand unmittelbar nach dem Spielen eines gewalthaltigen Computerspiels einen anderen Menschen erschießt. Vielmehr nehmen die Auswirkungen von Mediengewalt zumeist weniger dramatische und unmittelbare Formen an, etwa indem ein Kind mit zunehmendem Gewaltkonsum trotziger und widerspenstiger wird oder ein Erwachsener weniger bereit ist, anderen zu helfen. Außerdem sind Menschen aus Eigeninteresse geneigt, die negative Wirkung von Mediengewalt zu bezweifeln, um nicht in innere Widersprüche zu geraten, wenn sie etwa mit Gewaltmedien Geld verdienen oder sie selbst intensiv nutzen, oder um ein positives Selbstbild zu erhalten. Wenn Menschen neue Eindrücke wahrnehmen, z.B. eine neue Farbe, einen neuen Gegenstand oder ein neues Gefühl, werden Bündel von Gehirnzellen dazu abgestellt, diese neuen Reize zu erkennen und sie von anderen, schon bekannten Reizen zu unterscheiden. Solche Knotenpunkte werden aktiviert, wenn das neue Reizobjekt das nächste Mal wahrgenommen wird, d. h., wenn zwei Dinge gleichzeitig wahrgenommen werden, entsteht eine Verknüpfung zwischen beiden. Auf diesem Wege werden Eindrücke, die wir wiederholt zeitgleich erleben, allmählich im neuronalen Netzwerk immer enger miteinander verbunden, wobei schließlich schon die Aktivierung eines Knotenpunktes ausreicht, um die anderen Knoten zu aktivieren. Dieser Prozess wird als Aktivierungsausbreitung bezeichnet, sodass bereits bei sehr kleinen Kindern verschiedene aggressionsbezogene Reize und Objekte durch neuronale Pfade miteinander verknüpft werden, etwa durch Waffen, Kämpfe, Beleidigungen oder Schläge. Deshalb breitet sich jedes Mal, wenn ein Mensch eine gewalthaltige Szene sieht, die entstehende Aktivierung der Knotenpunkte auf benachbarte Knoten aus und aktiviert sie zumindest schwach (Priming). Wenn daher Knotenpunkte aktiviert werden, die mit aggressivem Verhalten assoziiert sind, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer aggressiven Reaktion kommt. Sind zusätzlich noch andere Reize vorhanden sind, die den entsprechenden Knoten aktivieren, nimmt die Wahrscheinlichkeit weiter zu. So kann man etwa zeigen, dass eine Person, die man zuvor beleidigt hat, sich mit höherer Wahrscheinlichkeit gegen den Beleidiger auf aggressive Weise zur Wehr setzt, wenn sich irgendwo in ihrem Blickfeld eine Schusswaffe befindet. Der Anbahnungseffekt durch den Anblick der Schusswaffe, kombiniert mit dem Effekt der Aktivierung des Knotens für aggressives Verhalten aufgrund der Beleidigung, führt dazu, dass der kritische Schwellenwert der Aktivierung überschritten wird und es zu einer aggressiven Reaktion kommt. Auf ähnliche Weise bahnt Mediengewalt die Aktivierung verschiedenster mit Aggression assoziierter Knoten an. Wenn dann noch weitere Auslöser hinzukommen, wie z.B. eine Provokation, kann es zu aggressivem Verhalten kommen. Ein zweiter wichtiger neuronaler Prozess, durch den die Beobachtung von Gewalt kurzfristig das Risiko für aggressives Verhalten erhöht, wird als Nachahmung (Mimikry) bezeichnet, denn Menschen sind wie andere Primaten darauf angelegt, das Verhalten anderer nachzuahmen. Sie verfügen über spezialisierte Neuronen (Spiegelneuronen), die aktiv werden, sobald ein bestimmtes Verhalten beobachtet oder ausgeführt wird. Insbesondere Kinder neigen zur Nachahmung von beobachtetem Verhalten, wobei diese Nachahmungstendenz viele positive Aspekte hat, indem sie das schnelle Erlernen vieler nützlicher Fertigkeiten fördert. Wenn jedoch aggressives Verhalten beobachtet wird, kommt es durch Nachahmung auch zu einer Förderung aggressiven Verhaltens (Krahé, 2012).

Literatur
Krahé, B., Möller, I., Huesmann, L. R., Kirwil, L., Felber, J., & Berger, A. (2011). Desensitization to media violence: Links with habitual media violence exposure, aggressive cognitions and aggressive behavior. Journal of Personality and Social Psychology, 100, 630-646.
Krahé, B. (2012). Report of the Media Violence Commission. Aggressive Behavior, 38, 335–341.
Krahé, B. & Möller, I. (2012). Gewaltspielkonsum und Aggression. In L. Reinecke & S. Trepte (Hrsg)., Unterhaltung in neuen Medien (S. 379-396). Köln: Herbert von Halem-Verlag.
Möller, I., & Krahé, B. (2013). Mediengewalt als pädagogische Herausforderung. Ein Programm zur Förderung der Medienkompetenz im Jugendalter. Göttingen: Hogrefe.


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