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Gedächtnis im Alter

Etwas zu vergessen muss nicht unbedingt altersbedingt sein, sondern kann auch eine Folge von Stress darstellen. Tatsache ist, dass auch das Gehirn von gesunden Menschen etwa ab dem sechzigsten Lebensjahr zum Teil erhebliche Anzeichen des Abbaus von Gehirnsubstanz und auch andere Spuren von Degeneration aufweist, was aber dem normalen Alterungsprozess des menschlichen Körpers entspricht. Da aber das Gehirn kein statisches Gebilde ist, sondern sich noch bis ins hohe Alter verändert und umbaut, um von sich aus einem drohenden Leistungsabbau entgegenzuwirken, gibt es so etwas wie eine kognitive Reserve, um die geistigen Fähigkeiten noch länger zu erhalten. Im Gehirn gibt es viele Knotenpunkte, an denen die Informationen verteilt werden, wobei mit zunehmendem Alter sich jedoch einige dieser Verteilerknoten aufzulösen beginnen, d. h., die Informationen müssen sich andere Wege suchen, und manchmal dauert es dann länger, um etwas in seinem Gedächtnis wieder aufzufinden. Allerdings profitieren ältere Menschen von ihren Erfahrungen, da das Gehirn Parallelen und Vergleiche zu ähnlichen Situationen in der Vergangenheit ziehen kann, sodass manche Tätigkeiten in diesem Lebensabschnitt besser gelingen, vor alem solche, die Konzentrations- und Willensstärke erfordern, aber auch die Fähigkeit, aus vorhandenen Fakten abstrakte Schlüsse zu ziehen, um dann vernünftig und sachlich zu entscheiden. Das alles ist jedoch nicht unbedingt eine Leistung des Gehirns allein, denn in seinen Entscheidungen lässt sich das menschliche Gehirn oft von Gefühlen, Interpretationen und individuellen Erfahrungen leiten.

Vergesslichkeit ist eine Form der Freiheit.
Forgetfulness is a form of freedom.
Khalil Gibran: Sand and Foam.

Ältere Menschen machen sich nicht zuletzt auf Grund der Medienberichterstattung Gedanken über ihr Gedächtnis und sorgen sich um ihre Vergesslichkeit, auch wenn solche Situationen unabhängig vom Alter sind, denn auch junge Menschen vergessen. Wie man aus der Forschung weiß, sind die Unterschiede bei Personen gleichen Alters oft erheblich, wobei Kriterien wie Beruf oder Bildung zwar eine Rolle spielen, aber nicht entscheidend sind, wie gut Gehirn und Gedächtnis arbeiten. Die geistige Leistungs- und Entwicklungsfähigkeit ist weitgehend eine Frage des altäglichen Verhaltens.

Manche Defizite der Gedächtnisleistung können durch ein gezieltes und vor allem kontinuierliches Training zumindest teilweise wettgemacht werden, was für jedes Alter gilt und auch unabhängig vom Gesundheitszustand ist. Auch demenzkranke Menschen können zwar ihr Gedächtnis nicht zurückbekommen, erlangen aber durch Gedächtnistraining eine bessere Merkfähigkeit bleiben länger sozial integriert. Am wirkungsvollsten ist dabei das Ändern des täglichen Verhaltens, denn wenn neue Anreize für das Gehirn in den Alltag integriert werden, braucht man dafür auch keinen grossen zeitlichen Aufwand.

Man kann etwa die Einkaufsliste durch bildhafte Vorstellungen auswendig lernen, indem man die Produkte einem Körperteil zuordnet: die Milch dem Fuss, das Brot dem Kopf, die Äpfel den Augen. Man sollte Routinetätigkeiten von Zeit zu Zeit mit der anderen Hand tun: die Zähne putzen, Zwiebeln schneiden, eine Telefonnummer wählen, Spielkarten halten, die Tür schliessen. Eine gute Übungsmethode ist es auch, alltägliche Verrichtungen mit geschlossenen Augen zu tun: ein Joghurt öffnen und auslöffeln, eine Orange schälen oder die Schuhe binden.
Körperliche Bewegung spielt für gesundes Altern eine wichtige Rolle, denn Studien zeigen, dass auch ein körperliches Training wie Nordic Walking, Radfahren oder Tanzen Einfluss auf die kognitive Leistungsfähigkeit im Alter hat. Allerdings spielen auch die Gene eine wichtige Rolle, denn wenn ein Mensch eine Veranlagung zu neurodegenerativen Erkrankungen hat, hilft ihm das moderate Training des Körpers nur nur wenig.

Wenn man übrigens glaubt, dass das Gedächtnis mit zunehmendem Alter schlechter wird, kann das eine sich selbst erfüllende Prophezeiung sein. Ältere Menschen, die glauben, dass ältere Menschen bei Gedächtnistests schlechter abschneiden, zeigten tatsächlich eine viel schlechtere Leistung als andere, die auf diese negativen Stereotypen vom Altern und dem abnehmenden Gedächtnis wenig geben. Hess et al. (2009) zeigten, dass die Erinnerungsfähigkeit älterer Erwachsener in bestimmten Situationen darunter leidet, wenn negative Stereotypen aktiviert werden, etwa wenn man ihnen sagt, dass ältere Leute bei dieser bestimmten Art von Gedächtnistest nicht gut abschneiden. Ebenso leidet das Gedächtnis, wenn sie glauben, dass Andere wegen ihres Alters auf sie herabschauen. Wenn ältere Menschen hingegen ein Umfeld haben, in dem eine positivere Einstellung zum Älterwerden vorherrscht, zeigen sie auch eine wesentlich bessere Gedächtnisleistung.

Eine neuere Erklärung, warum sich das Gedächtnis im Zuge des Alterns verschlechtert, stammt von Wåhlin & Nyberg (2019), die vermuten, dass das Gehirn im Alter durch den Herzschlag stärker belastet wird, denn sobald sich die großen Arterien im Laufe der Jahre versteifen, kommt es zu einer Schädigung der kleinsten Blutgefäße im Gehirn. Das Modell liefert eine Begründung dafür, warum bestimmte kognitive Prozesse durch den vorgeschlagenen Mechanismus einem besonders hohen Risiko ausgesetzt sind. Wenn der menschliche Körper altert, versteifen sich große Arterien wie die Aorta und verlieren einen Großteil ihrer Fähigkeit, die Zunahme des Drucks abzufangen, der beim Pumpen von Blut in die Arterien entsteht, sodass es zur Weitergabe an kleinere Blutgefäße wie etwa jenen im Gehirn kommt. Die Kapillaren im Gehirn werden erhöht belastet, die ihrerseits zur Schädigung der Zellen im Inneren und jener der Kapillarwände umgebenden Zellen führt. Sind diese kleinsten Blutgefäße geschädigt, ist das der Fähigkeit abträglich, die Blutversorgung des Gehirns bei anspruchsvollen kognitiven Prozessen zu erhöhen. Vor allem der Hippocampus ist gefährdet, also jenes Areal, das beim episodischen Gedächtnis eine wichtige Rolle spielt. Diese Gefährdung beruht darauf, dass der Hippocampus sich in der Nähe großer Blutgefäße befindet, die früh einer erhöhten Belastung ausgesetzt sind. Während die Pulsation bei einem jungen Menschen sanft ist, kann sie bei einem alternden Menschen so stark werden, dass das Gehirngewebe beeinträchtigt wird und es zur Schädigung der Blutversorgung kommen kann.

Während die rechte Großhirnhemisphäre vor allem etwas mit Neugierde zu tun hat und damit, Neues zu erfahren, macht die linke Großhirnhemisphäre in einer ungewohnten Situation eher eine Musteranalyse anhand dessen, was man schon alles erlebt und gelernt hat, d. h., in dieser Hemisphäre stecken verstärkt die Langzeiterinnerungen. Wenn Menschen älter werden, altert also die rechte Großhirnhemisphäre etwas schneller als die linke, sodass Menschen etwas weniger neugierig sind und sich stärker darauf verlassen, eine neue Situation danach zu bewerten, was man schon einmal erlebt hat, sodass diese Erinnerungen älteren Menschen eher ins Gedächtnis kommen, womit der Eindruck entsteht, dass die Erinnerung daran gleichsam besser wird. Der Suchfilter des Gehirns geht eben bei diesen Menschen eher dahin, eine neue Situation anhand von dem zu beurteilen, was sie schon erlebt haben.

Giannakopoulos et al. (2020) haben untersucht, warum bei manchen Menschen das Gehirn im Alter schneller an Volumen zu verliert als bei anderen, und welche Rolle der Lebensstil dabei spielt, wie schnell und stark dieser geistige Abbau ausfällt. In einer mehrjährigen Studie untersuchten man dabei regelmäßig eine Gruppe von über 65-Jährigen, wobei neben Gehirnscans auch Lebensstil, Persönlichkeit und kognitive Fähigkeiten der Teilnehmer erfasst wurden. Es zeigte sich dabei, dass das Gehirn von Menschen mit bestimmten Persönlichkeitseigenschaften weniger an Volumen verlor, wobei dies eher unangepasste und wenig konfliktscheue Menschen waren. Weniger ausgeprägt war hingegen der Zusammenhang mit der Offenheit für neue Erfahrungen, also dem Bedürfnis, auch noch im Alter zu lernen. Als Erklärung vermutet man, dass Menschen mit solchen Eigenschaften eine höhere Plastizität und damit Anpassungsfähigkeit ihres Gehirns aufweisen. Übrigens waren diese Zusammenhhänge auch im Hinblick auf sozioökonomische Faktoren stabil, dennoch lässt sich kein kausaler Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Gehirnalterung daraus ableiten.

Vickery et al. (2024) analysierten den Zusammenhang zwischen der Atrophie der grauen Substanz und dem Alter sowie der jüngsten zerebralen Expansion in der Phylogenie von Schimpansen und Menschen. Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass beim Menschen eine positive Beziehung zwischen zerebraler Alterung und kortikaler Expansion besteht, während bei Schimpansen keine solche Beziehung beobachtet wurde. Der Zusammenhang zwischen starken Alterungseffekten und einer signifikanten relativen kortikalen Expansion ist insbesondere in kognitiven Regionen höherer Ordnung des ventralen präfrontalen Cortex evident und stützt die „Last-in-first-out“-Hypothese bezüglich der Hirnreifung in der jüngsten evolutionären Entwicklung menschlicher Fähigkeiten. Somit zeigen Menschen und Schimpansen eine Hirnalterung, wobei die räumliche Verteilung beim Menschen mit der evolutionären Expansion assoziiert ist. Dies bedeutet, dass bei der Entstehung des Menschen wichtige Regionen im Großhirn größer wurden, jedoch ist dieser evolutionäre Schritt insbesondere im Alter mit bestimmten Nachteilen verbunden. Die Ergebnisse der Studie stützen die Hypothese, die von Biologen häufig vertreten wird, dass Strukturen, die in jüngerer Zeit durch Evolution entstanden sind, stärkeren Veränderungen unterliegen als solche, die über einen längeren Zeitraum optimiert wurden. Die starke Ausdehnung des präfrontalen Cortex beim Menschen geht demnach mit einer erhöhten Anfälligkeit für Alterungsprozesse einher.

Das Altersgedächtnis von Hunden

Der Einfluss des Alters auf kognitive Prozesse wie beispielsweise Lernen, Merkfähigkeit sowie logisches Schlussfolgern wurde bislang fast ausschließlich bei Menschen untersucht, doch nun haben Wallis et al. (2016) diese Fähigkeiten auch bei Haushunden unterschiedlichen Alters mit Hilfe von Tests an einem Touch-Screen erforscht. Probanden waren Border Collies im Alter zwischen fünf Monaten und 13 Jahren, denn Border Collies haben den Ruf, besonders schnelle Lerner zu sein, da sie für das Hüten von Schafherden gezüchtet wurden.

Die Hunde wurden in fünf Altersgruppen eingeteilt und durchliefen vier verschiedene Tests, wobei die Aufgaben so aufgebaut waren, dass Lernfähigkeit, logisches Schlussfolgern und Merkfähigkeit geprüft wurden. Im ersten Teil mussten die Tiere lernen, vier von insgesamt acht abstrakten Bildern auf einem Touchscreen richtig auszuwählen. Hierzu wurden ihnen jeweils zwei Bilder auf dem Bildschirm präsentiert. Ein Bild war positiv belegt – für das Anstupsen dieses Bildes gab es also eine Futterbelohnung. Das zweite Bild war negativ belegt – hier gab es für das Anstupsen keine Belohnung sondern eine Auszeit. Die vier “positiven“ Bilder wurden in unterschiedlichen Kombinationen mit den vier „negativen Bildern“ präsentiert. Ältere Hunde benötigten dabei mehr Anläufe, bevor sie die Aufgabe richtig lösen konnten, als jüngere Hunde, wobei ältere Hunde in ihrer Denkweise weniger flexibel waren als jüngere. Wie auch bei Menschen fällt es den betagteren Hunden schwerer, Gewöhntes oder Gelerntes zu verändern.

In einem weiteren Test wurden den Border Collies wiederum zwei Bilder auf dem Touchscreen präsentiert, doch dieses Mal war jedoch eines der Bilder neu für die Tiere. während sie das andere bereits aus dem ersten Test kannten und es als „falsch“ einordnen konnten. Die Hunde mussten nun logische Schlüsse ziehen. Sie hatten zuvor gelernt, dass eines von zwei präsentierten Bildern immer als positiv, das andere als negativ eingestuft werden muss. Im Test kannten sie nur das negativ belegte Bild. Das andere, neue und unbekannte Bild musste demnach positiv belegt sein. Die Hunde mussten also nach dem Ausschlussprinzip wählen. Mit steigendem Alter schnitten die Hunde bei dieser Aufgabe besser ab, während jüngere Hunde die Aufgabe nicht meistern konnten, was vermutlich daran liegt, dass die alten Hunde stärker auf das vorher Gelernte beharrten und weniger flexibel agierten als die jungen Tier.

Sechs Monate nach den ersten Lerntests wiederholte mann die Touch-Screen-Versuche zur logischen Schlussfolgerung mit allen Hunden nochmals, wobei sich jedoch beim Langzeitgedächtnis keine signifikanten Altersunterschiede zeigten.

Literatur

Giannakopoulos, Panteleimon, Rodriguez, Cristelle, Montandon, M., Garibotto, Valentina, Haller, Sven & Herrmann, Francois (2020). Less agreeable, better preserved? A PET amyloid and MRI study in a community-based cohort. Neurobiology of Aging, doi:10.1016/j.neurobiolaging.2020.02.004.
Hess, Thomas M., Joey, T. Hinson & Hodges,  Elizabeth A. (2009). Moderators of and Mechanisms Underlying Stereotype Threat Effects on Older Adults’ Memory Performance. Experimental Aging Research, April.
WWW: http://www.praxis-dr-shaw.de/blog/2009/10/02/lasst-das-gedachtnis-im-alter-zwangslaufig-nach/ (09-10-03)
Stangl, W. (2024, 20. September). Evolutionär junge Hirnregionen altern besonders früh. Psychologie-News.
https:// psychologie-news.stangl.eu/5401/evolutionaer-junge-hirnregionen-altern-besonders-frueh.
Vickery, Sam, Patil, Kaustubh R., Dahnke, Robert, Hopkins, William D., Sherwood, Chet C., Caspers, Svenja, Eickhoff, Simon B. & Hoffstaedter, Felix (2024). The uniqueness of human vulnerability to brain aging in great ape evolution. Science Advances, 10, doi: 10.1126/sciadv.ado2733.
Lisa J. Wallis, Zsófia Virányi, Corsin A. Müller, Samuel Serisier, Ludwig Huber & Friederike Range (2016). ging effects on discrimination learning, logical reasoning and memory in pet dogs. Age, 38/6. DOI 10.1007/s11357-015-9866-x.
Wåhlin, Anders & Nyberg, Lars (2019). At the Heart of Cognitive Functioning in Aging. Trends in Cognitive Sciences, 23, doi:10.1016/j.tics.2019.06.004.
WWW: http://www.beobachter.ch/arbeit/bildung/artikel/gedaechtnistraining_die-vergesslichkeit-vergessen/ (09-07-28)


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