Zum Inhalt springen

Funktionen der Aufmerksamkeit

    Innerhalb der kognitiven Psychologie lassen sich mindestens drei Hauptfunktionen der Aufmerksamkeit identifizieren: Diesbezüglich sind insbesondere die Funktionen Planen/Kontrollieren, Überwachen und Selegieren zu nennen. Die Funktion Planen/Kontrollieren verdeutlicht, dass Aufmerksamkeit erforderlich ist, um eine kontrollierte bzw. nicht automatisch ablaufende Handlung adäquat vorzubereiten und auszuführen, welche eine angemessene Zuwendung von kognitiven Ressourcen erfordert. In diesem Kontext erfolgt eine Fokussierung auf eine spezifische Handlung oder Aufgabe. Die Funktion des Überwachens besteht grundsätzlich darin, die eigene Umwelt „im Auge zu behalten“. Dadurch werden plötzliche Veränderungen in der Umwelt erkannt, was mit dem Zustand des „Wachseins“ oder der Abwesenheit von Ablenkung gleichgesetzt werden kann. Die Funktion Selegieren, die in einigen Theorien als die wichtigste Funktion der Aufmerksamkeit betrachtet wird, dient der Auswahl von Reizen und Informationen. Dabei werden die verfügbaren Informationen mit dem aktuell relevanten Handlungsziel abgeglichen, da unser kognitives System mit einer Vielzahl von Reizen konfrontiert wird, von denen nur ein Bruchteil für das jeweilige Handlungsziel von Bedeutung ist. In der wissenschaftlichen Literatur besteht noch keine Einigkeit darüber, wie mit Informationen verfahren wird, die für das aktuelle Handlungsziel irrelevant sind. In zahlreichen theoretischen Ansätzen wurde das Komplementärprinzip der Aktivation postuliert, welches die Inhibition voraussetzt. Letztere bezeichnet die Verarbeitung eines irrelevanten Reizes, wobei dessen interne Repräsentation durch selektive Aufmerksamkeit aktiv unterdrückt wird. Dies kann beispielsweise durch das bewusste Ignorieren oder Ausblenden eines Reizes erfolgen.

    In der Beschreibung der Selektivität als einer der wesentlichen Funktionen der Aufmerksamkeit wird vielfach die Filter-Metapher herangezogen. In diesem Kontext steht die Elimination bzw. Dämpfung spezifischer Informationen im Vordergrund. Die Filter-Metapher impliziert eine Betrachtung der Aufmerksamkeit als Struktur und weniger als Prozess. Obgleich in zahlreichen Experimentalaufgaben eine Trennung der zugrunde liegenden Prozesse der drei Funktionen möglich ist, finden sich gleichzeitig zahlreiche alltägliche Handlungen, wie beispielsweise das Autofahren und die gleichzeitige Unterhaltung, die darauf hinweisen, dass diese Funktionen miteinander verbunden sind. Bei Betrachtung von Interaktionen mit der realen Umwelt wird ersichtlich, dass alle drei Aufmerksamkeitsfunktionen typischerweise benötigt werden. Die drei Funktionen sind nicht unabhängig voneinander. Mit Fokus auf eine bestimmte Handlung oder Aufgabe (d. h. als relevant selegiert) stehen möglicherweise weniger Aufmerksamkeitsressourcen für die Überwachung der Umwelt zur Verfügung.

    Die Rolle der Aufmerksamkeit beim Lernen

    Aufmerksamkeit bündelt die Verarbeitung auf relevante Reize, dämpft Störungen und erhöht so Tempo und Präzision der Informationsverarbeitung, ein Effekt, der Lernen und Gedächtnis wesentlich erleichtert und damit neuroplastische Veränderungen begünstigt. Pädagogisch betrachtet bedeutet das, dass Lerninhalte das retikuläre Aktivierungssystem öffnen müssen, also Interesse, Bedeutung und Neugier wecken, damit Informationen über limbische Schaltkreise bis in den präfrontalen Cortex wirksam verarbeitet und reflektiert werden. Neurochemisch ist vor allem Acetylcholin zentral, denn es wird bei fokussierter Aufmerksamkeit oder neuartigen Reizen ausgeschüttet und schafft für Minuten ein Lernfenster, in dem synaptische Anpassungen besonders wahrscheinlich sind, während gleichzeitig Noradrenalin das positive Erregungsniveau und verstärkt den Effekt erhöht. Entscheidend sind dabei Relevanz und Anstrengung, denn was wichtig erscheint und unter konzentrierter Anforderung bearbeitet wird, hinterlässt deutlich stärkere neuronale Spuren, während Irrelevantes wirkungslos bleibt. Daraus lassen sich konkrete Prinzipien für Unterricht und Training ableiten: Lerninhalte sollten von Beginn an Aufmerksamkeit jährigen und diese im Prozess des Lernens hoch halten, und zwar durch Bedeutsamkeit, angemessene Herausforderung – also nicht zu leicht sein – sowie das bewusste Zusammenspiel exogener (z. B. Neuheit, Überraschung, Rhythmus- und Methodenwechsel, kurze Videos, Musik, Variation von Stimme und Tempo) und endogener Aufmerksamkeit (Ablenkungen eliminieren, Fokuszeiten allmählich verlängern). So lassen sich übrigens auch erzählerische Mittel aus der Literatur übertragen, um Spannung und damit Aufmerksamkeit zu erzeugen: Vorausdeutungen, Geheimnisse und zeitlich getaktete Action motivieren, Fragen zu beantworten, und halten den kognitiven Gatekeeper offen. Insgesamt wirkt Aufmerksamkeit als neurobiologischer Hebel, denn sie moduliert Filter- und Botenstoffsysteme, öffnet temporäre Fenster für synaptische Plastizität und bestimmt so maßgeblich, wann und wie stark das Gehirn sich an Erfahrung anpasst.
    Literatur

    Stangl, W. (2025, 22. August). Aufmerksamkeit und Neuroplastizität: Warum Fokussierung das Gehirn formt. ? News zum Thema Lernen.
    https:// news.lerntipp.at/aufmerksamkeit-und-neuroplastizitaet-warum-fokussierung-das-gehirn-formt/.
    Wentura, Dirk & Christian Frings (2013). Kognitive Psychologie. Wiesbaden: Springer.


    Nachricht ::: Stangls Bemerkungen ::: Stangls Notizen ::: Impressum
    Datenschutzerklärung ::: © Werner Stangl :::

    Schreibe einen Kommentar