Über einen gänzlich anderen Zugang entwickelten zum Teil unabhängig voneinander verschiedene Wissenschaftler einen anderen Modellversuch einer umfassenden Persönlichkeitsbeschreibung, das Fünf-Faktorenmodell der Persönlichkeit, welches auf Basis des sogenannten lexikalischen Ansatzes entwickelt wurde.
Ausgangspunkt waren hier nicht biologische bzw. physiologische oder psychiatrische Überlegungen wie bei Eysenck, sondern die Sprache. In verschiedenen Ländern weltweit wurden Versuche unternommen, aus Wörterbüchern persönlichkeitsbeschreibende Begriffe (Adjektiva) zu extrahieren, diese großen Personengruppen zur Selbst- als auch zur Fremdbeurteilung vorzulegen, und aus diesen Daten wiederum mittels Faktorenanalyse grundlegende Persönlichkeitsdimensionen zu extrahieren. Dabei zeigten sich auch interkulturell übereinstimmend immer wieder fünf Faktoren, die auch in verschiedenen Untersuchungen (auch in verschiedenen Kulturen) immer wieder sehr ähnlich benannt werden:
- Openness – Offenheit für Erfahrungen, Kultur (Culture): Personen werden u. a. als kunstverständig, intellektuell, kultiviert und phantasievoll beschrieben.
- Conscientiousness – Gewissenhaftigkeit: u.a. sorgfältig, zuverlässig, genau, beharrlich
- Extraversion: u.a. gesprächig, freimütig, unternehmungslustig, gesellig
- Agreeableness – Verträglichkeit: u.a. gutmütig, wohlwollend, freundlich, kooperativ
- Neuroticism – Emotionale Stabilität vs. Neurotizismus: u.a. ausgeglichen, entspannt, gelassen, körperlich stabil
Die Diskussion über die Gültigkeit dieses Fünf-Faktorenmodells der Persönlichkeit kann noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden; Befürworter führen an, dass die menschliche Sprache auch in ihrer Struktur die Struktur der Persönlichkeit gut repräsentieren sollte, weshalb es gerechtfertigt sei, aus der Sprache Persönlichkeitsmodelle zu entwickeln.
Kritiker hingegen betonen, dass es bislang kaum Überlegungen zu möglichen biologischen Fundierungen der genannten Persönlichkeitskonstrukte gibt (mit Ausnahme der mit Eysenck übereinstimmenden Dimensionen Extraversion und Neurotizismus).
Schließlich wurde von Eysenck kritisiert, dass Agreeableness und Conscientiousness eigentlich Unterfaktoren des Psychotizismus seien (umgekehrt gepolt). Lediglich der Faktor Openness oder Offenheit findet im Eysenck’schen Modell keine Entsprechung; Kritiker behaupten aber auch hier, dass Offenheit bzw. der Kulturfaktor nichts anderes sei als ein anderes, viel untersuchtes Merkmal der Persönlichkeitspsychologie, nämlich Intelligenz!
Untersuchungen (Laajaj et al., 2019) zeigen übrigens auch, dass Persönlichkeitstests, die diese fünf Faktoren messen, nur in westlichen Industrieländern zuverlässig funktionieren, während sie etwa in Schwellen- und Entwicklungsländern weder passend noch zuverlässig sind. Es gibt übrigens den Begriff „WEIRD“, der eine Abkürzung von: westlich, gebildet/educated, industrialisiert, reich, demokratisch ist, um diese Testgruppen aus den westlichen Industrieländern zu charakterisieren. Man konnte zeigen, dass in Niedrig- und Mittellohnländern wie Ghana, Kolumbien, Serbien und Sri Lanka diese Tests nicht geeignet sind.
Literatur
Laajaj, Rachid, Macours, Karen, Pinzon Hernandez, Daniel Alejandro, Arias, Omar, Gosling, Samuel D., Potter, Jeff, Rubio-Codina, Marta & Vakis, Renos (2019). Challenges to capture the big five personality traits in non-WEIRD populations. Science Advances, doi:10.1126/sciadv.aaw5226.
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