Gampe, Wermelinger & Daum (2019) haben eine Untersuchung gezeigt, dass sich zweisprachig aufwachsende Kinder den Bedürfnissen ihrer Gesprächspartner besser anpassen als einsprachige, wobei man vermutet, dass bilingual aufwachsende Kinder häufiger anspruchsvolle Kommunikationssituationen bewältigen müssen und mit unterschiedlichen Gesprächsstilen ihrer Elternteile konfrontiert sind. In einem Kooperatiosnspiel zeigte sich, dass einsprachig und zweisprachig aufwachsenden Kinder gleichermassen hilfsbereit waren, allerdings unterschieden sie sich in der Art und Weise, wie sie mit ihren Interaktionspartnern kommunizierten. Zweisprachige Kinder halfen dabei oft auf non-verbaler Ebene, während einsprachige Kinder explizit verbale Hinweise lieferten. Die zweisprachigen Kinder passten sich ihrem Gegenüber also an, was den einsprachig aufwachsenden Kindern nicht gelang. Zweisprachige Kinder reagieren in ihrem Kommunikationsverhalten sensibler auf ihre Gesprächspartner und zeigen eine grössere Flexibilität bei der Wahl ihrer Kommunikationsmittel. Zweisprachige Kinder müssen häufiger anspruchsvolle Kommunikationssituationen bewältigen und sind mit verschiedenen, auch indirekten Kommunikationsstilen konfrontiert sind. Das führt vermutlich dazu, dass zweisprachige Kinder die kommunikativen Signale anderer besser verstehen und ihre eigenen Anliegen flexibler und teilweise auch non-verbal vermitteln.
Wermelinger et al. (2020) haben auch bei ein- und zweisprachigen Kindern im Kindergartenalter untersucht, wie sie ikonische Gesten verstehen und selbst bei der Kommunikation einsetzen. Der Fokus lag dabei auf ikonischen Gesten, also Hand- und Armbewegungen, die die Form oder die Geschwindigkeit eines Objekts nachstellen, beispielsweise mit den Fingern die Schneidebewegung einer Schere nachzuahmen oder mit einer schnellen Bewegung der Hand eine hohe Geschwindigkeit anzudeuten.Bei der Aufgabe sollten Kinder einer gehörlosen Handpuppe, die ein Experimentator führte, erklären, welches Spielobjekt sie gerne von ihr hätten, wobei die zweisprachigen Kinder dabei mehr mit den Händen als einsprachige erklärten, d. h., sie verpackten mehr Information über Form und Bewegung des gewünschten Objekts in ihre Gesten und gestikulierten verständlicher, was sie erfolgreicher bei der Kommunikation machte. Zweisprachige Kinder erzeugten verständlichere Gesten als ihre einsprachigen Altersgenossen, was darauf zurückzuführen ist, dass die Eltern zweisprachiger Kinder mehr Gesten beim Sprechen als die Eltern monolingualer Kinder machen. Daraus entsteht vermutlich eine erhöhte Sensibilität der zweisprachigen Kinder gegenüber ihrem Interaktionspartner bzw. ihre Fähigkeit, verständliche Gesten zu produzieren.
Es war schon bisher in einigen Untersuchungen festgestellt worden, dass sich Bilingualität bei Erwachsenen positiv auf die Gehirnstruktur und die kognitiven Leistungen auswirkt. Nun zeigte sich, dass mehrsprachig aufwachsende Kinder und Jugendliche das Erwachsenenalter mit mehr grauer Substanz im Gehirn erreichen, was auf eine effizientere Kommunikation in ihrem Gehirn hinweisen kann. Das bedeutet also, dass mehrsprachige Kinder und Jugendliche während ihrer Entwicklung weniger graue Substanz im Gehirn abbauen, als dies bei einsprachigen Kindern der Fall ist. Für eine Untersuchung (Pliatsikas et al., 2020) wurden detaillierte Scans der Gehirne von Kindern und Jugendlichen ausgewertet. Bekanntlich nimmt die graue Substanz im Gehirn von klein auf ab, wobei jene Schlüsselareale des Gehirns, die mit dem Erlernen und dem Gebrauch von Sprache in Verbindung stehen, bei zweisprachigen Menschen während der Entwicklung weniger Abbau zeigen als bei einsprachigen Menschen, sodass die Auswirkungen auf das Gehirn, die bei erwachsenen zweisprachigen Menschen beobachtet worden waren, ihre Wurzeln vermutlich in der Kindheit haben dürften. Der Einfluss der Zweisprachigkeit auf die graue und weiße Substanz könnte auch eine Reihe von Vorteilen im Zusammenhang mit Sprache und kognitive Funktionen mit sich bringen, wie etwa die Leistung bei Aufgaben im Zusammenhang mit Aufmerksamkeit und exekutiver Kontrolle, die bei älteren zweisprachigen Personen ebenfalls besser ist. Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Förderung der Zweisprachigkeit in der Kindheit erhebliche Vorteile im späteren Leben haben kann.
Literatur
Gampe, A., Wermelinger, S., & Daum, M. M. (2019). Bilingual children adapt to the Needs of their communication partners, monolinguals do not. Child Development, doi:10.1111/cdev.13190.
Pliatsikas, C., Meteyard, L., Veríssimo, J., DeLuca, V. , Shattuck, K. & Ullman, M. T. (2020). The effect of bilingualism on brain development from early childhood to young adulthood. Brain Structure and Function, doi:10.1007/s00429-020-02115-5.
Wermelinger, Stephanie, Gampe, Anja, Helbling, Natascha & Daum, Moritz M. (2020). Do you understand what I want to tell you? Early sensitivity in bilinguals‘ iconic gesture perception and production. Developmental Science, doi:10.1111/desc.12943.
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