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Die Doubling-Back Aversion als Hindernis effizienter Entscheidungsfindung

    Die menschliche Psyche folgt in ihren Urteilen und Entscheidungen oft nicht dem rationalen Pfad der Effizienz, sondern gehorcht subtilen, tief verankerten Wahrnehmungen von Fortschritt und Aufwand. Eine solche kognitive Verzerrung stellt die Doubling-Back Aversion dar – eine Aversion gegen das Zurückgehen oder Umkehren, selbst wenn dies objektiv betrachtet der beste Weg zum Ziel wäre (Cho & Critcher, 2025). Diese psychologische Tendenz führt dazu, dass Menschen ineffiziente Entscheidungen treffen, um zu vermeiden, gefühlt „einen Rückschritt“ zu machen.

    Im Alltag zeigt sich dieses Phänomen auf vielerlei Ebenen: Menschen wählen beim Spazierengehen lieber Rundwege, um nicht denselben Pfad zweimal zu beschreiten, oder sie entscheiden sich bei der Navigation bewusst für Umwege, nur um das Gefühl des Zurückgehens zu vermeiden. Diese Entscheidungsmuster lassen sich nicht allein durch Rationalität erklären – vielmehr spielen subjektive Effizienzempfindungen, die Wahrnehmung von Fortschritt und tief sitzende Heuristiken eine Rolle. Das Zurückgehen wird oft als unproduktiv oder langweilig wahrgenommen und widerspricht dem Gefühl zielgerichteter Bewegung.

    Cho und Critcher (2025) untersuchten diese Aversion in einer Reihe von Studien mit mehr als 2500 Proband:innen. In einem zentralen Experiment bewegten sich die Teilnehmenden durch eine virtuelle Umgebung, in der sie zwischen zwei Wegen wählen mussten: einem längeren, der direkt weiterführte, und einem kürzeren, der ein Umkehren erforderte. Obwohl die kürzere Route objektiv vorteilhaft war, entschieden sich nur etwa 30?% für sie. In einer Variante, bei der der kürzere Weg lediglich einen Abschnitt entgegen der Zielrichtung beinhaltete – aber kein vollständiges Umkehren –, stieg die Bereitschaft, diesen zu wählen, auf etwa 50?%. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass es gerade das Zurückgehen selbst ist, das Menschen innerlich widerstrebt – ein Vorgang, der offenbar mit dem Gefühl verbunden ist, bereits Geleistetes wieder rückgängig zu machen.

    Besonders eindrücklich zeigt sich die Doubling-Back Aversion, wenn Menschen metaphorische oder geistige „Kehrtwendungen“ in Betracht ziehen sollen. In einem Experiment erhielten Teilnehmende die Möglichkeit, von einer Aufgabe – Wörter mit dem Anfangsbuchstaben „G“ zu notieren – zu einer anderen zu wechseln, bei der sie laut Einschätzung der Versuchsleiter bessere Ergebnisse erzielen könnten. Dabei mussten sie jedoch akzeptieren, dass ihre bisherigen Ergebnisse gelöscht würden. Nur ein Viertel der Personen entschied sich zum Wechsel. Wurde hingegen die neue Aufgabe als Fortsetzung der alten präsentiert und die bisherigen Resultate beibehalten, wählten drei Viertel den Wechsel. Dieses Verhalten lässt sich durch die psychologische Abneigung erklären, bereits investierte Anstrengung aufzugeben oder rückgängig zu machen.

    Diese Mechanismen ähneln der bekannten Sunk Cost Fallacy – dem irrationalen Festhalten an Entscheidungen aufgrund bereits getätigter Investitionen in Zeit, Geld oder Energie (Arkes & Blumer, 1985). Doch während die Sunk Cost Fallacy primär erklärt, warum Menschen überhaupt an einem Ziel festhalten, obwohl es ineffizient ist, fokussiert die Doubling-Back Aversion auf das konkrete Versäumnis, einen effizienteren Weg einzuschlagen. Im Zentrum steht nicht das Ob, sondern das Wie des Zielstrebens. Menschen vermeiden Umwege, wenn sie sich wie Rückschritte anfühlen – selbst dann, wenn diese Umwege den Fortschritt beschleunigen würden.

    Die Relevanz dieses Konzepts reicht weit über den Alltag hinaus: In der Gestaltung von Benutzeroberflächen, Navigationssystemen oder in der Stadtplanung kann das Wissen um die Doubling-Back Aversion helfen, Entscheidungen besser zu verstehen und Systeme so zu designen, dass sie der menschlichen Wahrnehmung von Fortschritt und Effizienz entgegenkommen. Auch in der psychologischen Beratung oder in der Führung von Organisationen kann dieses Verständnis helfen, ineffiziente Verhaltensmuster zu erkennen und aufzulösen.

    Die Doubling-Back Aversion zeigt eindrücklich, wie sehr unsere Entscheidungen durch subjektive Deutungsmuster geprägt sind. Fortschritt ist nicht nur eine Frage des Weges, sondern auch des Gefühls, wie dieser Weg erlebt wird. Manchmal ist der effizienteste Schritt der, der uns zunächst wie ein Rückschritt erscheint – und genau darin liegt eine zentrale Herausforderung menschlicher Entscheidungsfindung.

    Literatur

    Arkes, H. R., & Blumer, C. (1985). The psychology of sunk cost. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 35(1), 124–140.
    Cho, K. Y., & Critcher, C. R. (2025). Doubling-back aversion: A reluctance to make progress by undoing it. Psychological Science, 36(5), 332–349.


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