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Der Siegeszug emotionaler Narrative in Politik und Gesellschaft

    In westlichen Demokratien – allen voran den USA – hat sich die politische Sprache in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend von einer faktenbasierten Argumentation entfernt und hin zu emotionalen und erfahrungsbasierten Aussagen entwickelt. Eine Studie, die acht Millionen Kongressreden aus dem Zeitraum von 1879 bis 2022 analysierte, zeigt, dass seit Mitte der 1970er-Jahre der Anteil evidenzbasierter Sprache im US-Kongress kontinuierlich zurückgeht, während Begriffe, die auf Intuition und subjektive Wahrnehmung setzen, zunehmen (Aroyehun et al., 2025). Dies korreliert mit wachsender Polarisierung, sinkender Gesetzgebungsproduktivität und sozialer Ungleichheit. Der Rückgang betrifft beide politischen Lager, ist bei den Republikanern jedoch besonders ausgeprägt.

    Dieser Trend ist kein US-amerikanisches Einzelphänomen. Auch in Europa zeigt sich eine zunehmende Dominanz gefühlter Wahrheiten, insbesondere mit dem Aufstieg populistischer Parteien. Emotionale Narrative und anekdotische Evidenz verdrängen zunehmend wissenschaftlich gestützte Argumente aus dem öffentlichen Diskurs. Anekdotische Evidenz wirkt dabei besonders überzeugend, da sie auf persönlichen Erfahrungen beruht und leichter zu verstehen sowie emotional greifbarer ist als abstrakte Studienergebnisse. Psychologische Verzerrungen wie Bestätigungsfehler verstärken diesen Effekt: Menschen neigen dazu, Informationen zu glauben, die ihre vorgefassten Meinungen stützen, und wissenschaftliche Erkenntnisse abzulehnen, wenn diese nicht ins eigene Weltbild passen.

    Kommunikationsstrategen und Desinformationsakteure nutzen diese Mechanismen gezielt. Emotional stark aufgeladene Inhalte gewinnen mehr Aufmerksamkeit – insbesondere in sozialen Medien –, was zur sogenannten Hyperemotionalisierung führt. Diese erschwert sachliche Diskussionen und untergräbt Vertrauen in wissenschaftliche Erkenntnisse. Emotional dargestellte Einzelereignisse erscheinen vielen intuitiv glaubhafter als nüchterne Fakten, was die Wahrnehmung von Wahrheit verzerrt. Ein bekanntes Beispiel ist Donald Trumps Auftritt mit angeblichen Beweisen für einen Genozid in Südafrika, die sich bei näherer Betrachtung als falsch herausstellten.

    Literatur

    Aroyehun, S. T., Simchon, A., Carrella, F., Lasser, J., Lewandowsky, S., & Garcia, D. (2025). Computational analysis of US congressional speeches reveals a shift from evidence to intuition. Nature Human Behaviour, doi:10.1038/s41562-025-02136-2


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