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Das aktive Gehirn im Ruhezustand: Das Default Mode Network

    Lange Zeit wurde angenommen, das menschliche Gehirn sei nur dann aktiv, wenn es mit einer konkreten Aufgabe beschäftigt ist – etwa beim Lösen von Problemen, bei Gesprächen oder der Verarbeitung äußerer Reize. Doch moderne neurowissenschaftliche Studien zeigen ein deutlich komplexeres Bild. Besonders das sogenannte Default Mode Network (DMN) rückt dabei zunehmend in den Fokus. Dieses Netzwerk ist im Gehirn gerade dann besonders aktiv, wenn der Mensch vermeintlich „nichts“ tut – wenn er träumt, reflektiert oder sich in Gedanken verliert. Die Ergebnisse aktueller Forschungen revolutionieren unser Verständnis davon, wie das Gehirn auch im scheinbaren Leerlauf hochkomplexe kognitive Prozesse durchführt.

    Paquola et al. (2025) haben herausgefunden, dass das DMN nicht etwa ein homogener Block ist, sondern sich aus unterschiedlichen funktionellen Einheiten zusammensetzt, die jeweils spezifische Aufgaben erfüllen. Während einige dieser Bereiche stark mit den Sinnesregionen des Gehirns verknüpft sind und auf äußere Reize wie Geräusche oder Gerüche reagieren, sind andere Teile weitgehend von Umwelteinflüssen abgeschottet. Diese abgeschirmten Bereiche ermöglichen introspektives Denken und fördern die Selbstreflexion, das Tagträumen oder das gedankliche Planen von zukünftigen Ereignissen. Die Vielfalt dieser Aufgabenbereiche erklärt unter anderem, warum vertraute Sinneseindrücke Erinnerungen oder Emotionen auslösen können – das DMN stellt eine Brücke zwischen der Außenwelt und unserem inneren Erleben dar.

    Diese Ergebnisse wurden durch eine umfassende Untersuchung auf anatomischer und funktioneller Ebene gestützt, indem mithilfe einer Kombination aus postmortaler Histologie und moderner bildgebender Verfahren wie der funktionellen Magnetresonanztomographie man die cytoarchitektonische Beschaffenheit sowie die Konnektivität des DMN analysierte. Man kam zu dem Schluss, dass dieses Netzwerk aus verschieden spezialisierten Zelltypen besteht, die auf unterschiedliche Arten der Informationsverarbeitung ausgerichtet sind – von sensorischen bis hin zu erinnerungsbezogenen und heteromodalen Verarbeitungsformen. Ein zentraler Befund dieser Studie war zudem die Entdeckung eines „Kerns“ im DMN, der besonders gut vor sensorischen Einflüssen abgeschirmt ist, was introspektives Denken begünstigt. Gleichzeitig existieren periphere Bereiche, die stärker mit Sinneswahrnehmung und Umweltinformationen verknüpft sind.

    Ein weiteres bemerkenswertes Ergebnis betrifft die Signalverarbeitung innerhalb dieses Netzwerks. Man fand heraus, dass das DMN als einziges der großen kortikalen Netzwerke die Informationsweitergabe ausgewogen über die verschiedenen Ebenen sensorischer Hierarchien hinweg reguliert. Das bedeutet, dass es nicht nur eine passive Struktur ist, sondern eine zentrale Rolle im Austausch und in der Gewichtung von Informationen spielt, die für Selbstreflexion, Zukunftsplanung, Entscheidungsfindung und das Verständnis sozialer Zusammenhänge essenziell sind.

    Diese Erkenntnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, den Ruhezustand des Gehirns nicht mit Untätigkeit gleichzusetzen. Im Gegenteil: Während Menschen entspannen, laufen hochkomplexe mentale Prozesse ab, die für das Gedächtnis, die Emotionen und das Selbstverständnis von großer Bedeutung sind. Bei diesen Erkenntnissen handelt es sich nicht nur um wichtige Grundlagen für das Verständnis normaler Hirnfunktionen, sondern auch für die Erforschung psychischer Erkrankungen, enn bei Störungen wie Depression oder Schizophrenie, bei denen das Gleichgewicht zwischen innerem Denken und äußerer Reizverarbeitung aus dem Lot geraten kann, könnten gezielte Interventionen auf Basis dieser Forschungsergebnisse zukünftig neue Behandlungswege eröffnen.

    Literatur

    Paquola, C., Garber, M., Frässle, S., Royer, J., Zhou, Y., Tavakol, S., Rodriguez-Cruces, R., Cabalo, D. G., Valk, S., Eickhoff, S. B., Margulies, D. S., Evans, A., Amunts, K., Jefferies, E., Smallwood, J., & Bernhardt, B. C. (2025). The architecture of the human default mode network explored through cytoarchitecture, wiring and signal flow. Nature Neuroscience, 28, 654–664.


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