Der Geruchssinn ist entwicklungsgeschichtlich einer der ältesten Sinne, denn keine andere Wahrnehmung empfinden Menschen so unmittelbar wie das Riechen. Während Sehen, Hören, Fühlen und Schmecken kognitive vorgefiltert werden, gelangen Geruchsinformationen unmittelbar ins Gehirn, da die Riechnerven direkt in die Nase reichen, wobei die Gerüche in annähernd der gleichen Gehirnregion wie Emotionen verarbeitet werden. Dieser ausgeprägte Geruchssinn hat in der Evolution den Menschen vermutlich geholfen, Mitglieder ihrer Familie oder ihrer Gruppe wahrzunehmen und so ein ausgeprägtes Sozialverhalten zu entwickeln. Zwar sind nach anthropologischen Untersuchungen die Gehirne von Menschen und Neandertalern etwa gleich groß, doch sind die für Geruchsinformationen zuständigen Gehirnareale beim Menschen etwa zwölf Prozent größer als beim Neandertaler.
Bei heutigen Primaten sind übrigens die Größen des visuellen und des olfaktorischen Zentrums im Gehirn oft negativ korreliert, was bedeutet, dass Affen, die sich besonders stark auf ihre Augen verlassen, dafür schlechter riechen können. Offenbar wurden die Kapazitäten für den Geruchssinn im Laufe der Evolution zugunsten eines besseren Sehsinns eingetauscht. Vermutlich waren das olfaktorische und das visuelle System während der Evolution des Gehirns weniger stark aneinander gekoppelt und haben sich vielmehr unabhängig voneinander entwickelt. Auf eine voneinander unabhängige Entwicklung einzelner Hirnbereiche deuten auch die Vergleiche mit Schädeln anderer früher Affen hin, denn einzelne Gehirnregionen wuchsen mit dem größer werdenden Gehirn nicht gleichmäßig mit, sondern haben sich mosaikartig verändert, wobei es mehrmals und unabhängig voneinander zu Vergrößerungen einzelner Strukturen und manchmal auch zu erneuten Verkleinerungen kam.
Der Geruchssinn stellt einen der wichtigsten Sinne im alltäglichen Leben und Erleben dar, unter anderem bei der Entdeckung von Gefahren oder bei sozialen Interaktionen mit anderen. Ein Verlust des Geruchssinns bedeutet für Menschen nicht nur eine massive Veränderung ihres sensorischen Lebens, sondern bewirkt auch psychische und soziale Verhaltensänderungen. In Folge eines Verlustes der Riechfunktionen kommt es neben der Beeinträchtigung der Lebensqualität auch zu einer Umstrukturierung im Gehirn und des Mikrobioms, also jener Billionen von Mikroorganismen, die auf unsere Gesundheit und unser Verhalten einwirken.
Die Nase ist daher für das menschliche Leben und Zusammenleben ein wichtiges Sinnesorgan und dennoch weiß die Wissenschaft noch ziemlich wenig über den Geruchssinn, obwohl er er den Alltag mehr bestimmt, als den Menschen bewusst ist. Bei allem, was Menschen trinken oder essen, gehen Duftsubstanzen über den Rachenraum in die Nase und werden dort analysiert. Auch das Duftgedächtnis des Menschen ist enorm, denn manche Düfte, die über Jahrzehnte nicht mehr gerochen wurden, werden trotzdem noch ganz genau erinnert. Gerüche spielen daher eine wichtige Rolle bei der Erinnerung, denn Menschen können sich an den Geruch des Kinderzimmers, ihrer Schule oder des Lieblingsstofftiers auch nach Jahrzehnten noch erinnern, wobei das Geruchsgedächtnis meist sehr stark mit positiven oder negativen Gefühlen verknüpft ist. Der Geruch von Feuer etwa ist im Gehirn sogar evolutionär mit Angst und Flucht verbunden, der Geruch von brennendem Plastik ist zwar neu und erlernt, dennoch kennen wir ihn und ziehen die richtigen Schlüsse daraus.
Gerüche werden ständig wahrgenommen und bestimmen die Stimmung des Menschen. Sie spiele auch in der Kommunikation eine wichtige Rolle. Personen, die wir nicht riechen können, kann man tatsächlich meist nicht leiden, auch dann nicht, wenn man sich dazu zwingt. Forscher konnten bei Tierversuchen zeigen, dass im Gehirn Netzwerke von Neuronen existieren, die eintreffende Geruchsinformationen bündeln und erst dann an andere Gehirnregionen weiterleiten, wobei durch diese Bündelung die Daten für die jeweils zuständigen Hirnareale leichter verständlich werden – es findet also eine Vorverarbeitung bzw. vielleicht sogar Vorinterpretation statt.
Die Bedeutung des Olfaktorischen wird dann besonders deutlich, wenn Menschen nicht mehr riechen können. Menschen, die ihren Geruchssinn verlieren, werden häufig depressiv, denn sie vermissen nicht nur den Geruch von Blumen, gutem Essen oder ihrem Partner, sondern es fehlt ihnen auch der eigener Geruch. Man vermutet, dass Menschen mit dem Geruchssinn einen Teil ihrer Identität verlieren.
Der Hippocampus speichert bekanntlich komplexe Erinnerungen auf der Basis von Sinnesreizen, wobei Grundlage dieser Prozesse die Fähigkeit des Gehirns darstellt, die Leistungsfähigkeit der Signalübertragung zwischen den Synapsen zu erhöhen und dadurch Gedächtnisinhalte zu speichern (synaptische Plastizität). Der Hippocampus nutzt dabei olfaktorische Informationen, um sensorische Erfahrungen durch synaptische Plastizität zu kodieren, d. h., die Geruchsexposition beim Lernen beeinflusst den Abruf von Erinnerungen. Strauch & Manahan-Vaughan (2019) haben nun bei Ratten untersucht, inwieweit sich das auf die Informationsverarbeitung und -speicherung im Hippocampus auswirkt. Dazu stimulierten sie den piriformen Cortex mit elektrischen Impulsen, der direkt darauf reagierte. Manahan-Vaughan und Strauch konnten damit als erste zeigen, dass Stimulation im anterioren piriformen Cortex zu synaptischer Plastizität im Hippocampus führt. Danach untersuchten sie, inwieweit der piriforme Cortex mit dem entorhinalen Cortex um die synaptische Plastizität im Hippocampus konkurriert. Diese Struktur sendet Informationen über die Aktivität in allen sensorischen Modalitäten an den Hippocampus. Die Aktivierung des afferenten, also zum Hippocampus führenden Weges dieser Struktur, der sogenannte Tractus perforans, löste im Hippocampus völlig andere Reaktionsmuster aus als jene, die durch den piriformen Cortex erzeugt wurden. Die Studie liefert daher eine theoretische Grundlage dafür zu verstehen, wieso der Geruchssinn eine so besondere Rolle bei der Bildung und dem Abruf von Erinnerungen spielt.
Allerdings ist immer noch nicht vollständig geklärt, welche Rolle der Geruch bei der Gedächtnisverarbeitung genau spielt. Eine Hypothese ist, dass Gerüche die Verlagerung des Inhalts einer Erinnerung auf den präfrontalen Cortex etwas verzögern, sodass die Details besser eingeprägt und dadurch länger erhalten bleiben. In diesem Fall muss ein Geruch nur während der Gedächtnisbildung vorhanden sein, damit die Erinnerung ihre Lebendigkeit behält. Die andere Hypothese ist, dass die präfrontale Verschiebung bei einem geruchsassoziierten Gedächtnisinhalt in den Cortex zwar auftritt, doch kommen beim gleichen Geruch die verlorenen Details der Erinnerung erst durch die Reaktivierung des Hippocampus wieder zurück bzw. werden dem Kern der Erinnerung erst dann wieder hinzugefügt.
Düfte in der Innenarchitektur
Die Rolle von Düften in der Innenarchitektur ist ein faszinierender und oft vernachlässigter Aspekt. Unser Geruchssinn ist direkt mit dem limbischen System verbunden, dem Teil unseres Gehirns, der Emotionen, Verhalten und Gedächtnis steuert. Das bedeutet, dass vertraute oder angenehme Gerüche starke Erinnerungen und Emotionen hervorrufen können, die unsere Stimmung und unser Wohlbefinden beeinflussen.
So wie Farbe und Textur die Ästhetik eines Raumes bestimmen, können Gerüche seine Atmosphäre prägen. Bestimmte Düfte wie Lavendel können beruhigend wirken, Entspannung fördern und Stress abbauen. Andere, wie Zitrusfrüchte, können belebend und anregend wirken und die Produktivität und Konzentration steigern.
Die Integration von Düften in das Design kann auf verschiedene Weise erreicht werden, z. B. durch Duftkerzen, Diffusoren für ätherische Öle, Zimmerpflanzen oder natürliche Belüftung. Durch eine durchdachte Integration von Düften in unsere Räume steigern wir nicht nur deren ästhetischen Reiz, sondern schaffen auch eine Umgebung, die unsere Stimmung verbessern, Entspannung fördern und eine tiefere Verbindung mit unserer Umwelt unterstützen kann.
, Architektin
Historisches: Im antiken Ägypten trug ein Sklave eine Duftschale vor dem erblindeten Pharao her, damit dieser sich beim Gehen daran orientieren konnte.
Kurioses: Knowledge by RUB – Parfüm zur Verbesserung der Lernleistung 😉
Nach einer Agenturmeldung hat die Ruhr-Universität Bochum als erste Hochschule der Welt ein eigenes Parfüm herausgebracht, das sich Knowledge by RUB nennt und nach Zitrusfrüchten, Blumen und Holz riecht und eine wissenschaftlich nachgewiesene Wirkung haben soll. Im Parfüm Knowledge sind Erkenntnisse über Riechrezeptoren und die Wirkung von Duftstoffen berücksichtigt. Kürzlich erst identifizierten die Bochumer Forscher den Magnolien-ähnlichen Duft Hedion als Bindungspartner für einen menschlichen Pheromonrezeptor, was bedeutet, dass die Wirkung nicht nur eine subjektive Empfindung ist, sondern wissenschaftlich nachgewiesen werden kann. Neben weiteren Duftstoffen mit nachgewiesener Wirkung macht etwa Cineol wach und belebt, weil es den sogenannten Nervus trigeminus aktiviert, während Geraniol beruhigt und entspannt, indem es an denselben Rezeptoren andockt wie manche Beruhigungsmittel. Gemeinsam mit Cineol wirkt es tonisierend, d. h., es sorgt für eine erhöhte Leistungsfähigkeit des Gehirns, weil es gelassen macht und gleichzeitig geistige Frische verschafft. Da die Substanz zart, weich und nach Mensch riecht, fördert das auch die Anziehungskraft und die Kommunikationsfreude.
Siehe dazu auch Duftset Leichter lernen!
Literatur
Grella, Stephanie L., Fortin, Amanda H., McKissick, Olivia, Leblanc, Heloise & Ramirez, Steve (2020). Odor modulates the temporal dynamics of fear memory consolidation. Learning Memory, 27, 150-163.
Strauch, Christina & Manahan-Vaughan, Denise (2019). Orchestration of Hippocampal Information Encoding by the Piriform Cortex. Cerebral Cortex, doi:10.1093/cercor/bhz077.
http://www.ingenieur.de/Panorama/Am-Rande/Parfuem-Ruhr-Uni-Gehirn-Doping-Aufspruehen (15-07-27)
https://www.wissenschaft.de/erde-klima/der-evolution-des-gehirns-auf-der-spur/ (19-08-22)
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Was der Mensch im Mund als Geschmack wahrnimmt, ist eine Illusion, denn der Mensch schmeckt mit seinem Gehirn. Vereinfacht gesagt, nehmen Menschen mit der Zunge nur süß, sauer, salzig, bitter und umani wahr. Erst durch eine ausgeklügelte Verdrahtung entsteht im Gehirn die gesamte Sinneserfahrung. Schließlich isst der Mensch mit allen Sinnen: Der Salat muss knackig sein, das Gemüse muss frisch aussehen. Gerüche können vom Verstand kaum erfasst werden. Sie gehen ins limbische System, das für Emotionen zuständig ist – also sozusagen ins Unbewusste, das Gefühle steuert und Erinnerungen hervorruft. Geruch hat mit Erfahrung zu tun: Der Mensch ist darauf programmiert, zu wissen, was ein Geruch für ihn bedeutet, und das ist erlernt. Geruchsverlust hat eine soziale Komponente: Manche Menschen werden unsicher, weil sie sich ständig fragen, ob sie nicht doch schlecht riechen. Corona-Patienten wird geraten, ein Riechtraining zu absolvieren: Sie müssen regelmäßig an Düften schnuppern – auch wenn sie anfangs nichts riechen. Aber mit etwas Glück riechen sie nächstes Weihnachten wieder Vanillekipferl.
Vielen Dank für diesen interessanten Artikel, wobei ich wirklich bestätigen muss, dass es Menschen gibt, die man beim besten Willen nicht riechen kann. Da kommt dann auch keinerlei Sympathie auf. Insofern denke ich schon, dass der Geruch in vielen Bereichen eine wichtige Rolle spielt.