Der Wettbewerb unter Geschwistern ist bei Vögeln und anderen Tierarten weit verbreitet und führt manchmal zum Geschwistermord, wobei die Geburtsreihenfolge die Strategien beeinflusst, die Geschwister in ihren Kämpfen um die Vorherrschaft anwenden, und sich somit auf die Ergebnisse solcher Wettkämpfe auswirkt. Bei Menschen steht die Reihenfolge der Geburt stellvertretend für die Unterschiede in Bezug auf Alter, Körpergröße und Status, die alle zur Persönlichkeit beitragen. Darüber hinaus hängt die Reihenfolge der Geburt mit den Rollen und Nischen zusammen, die den Nachkommen innerhalb des Familiensystems zur Verfügung stehen. Im Durchschnitt sind Erstgeborene – die in der Regel als Ersatzeltern fungieren – pflichtbewusster als Nachgeborene, während Nachgeborene angenehmer, extravertierter und unangepasster sind. Als Strategien für den Umgang mit Rivalen in einer Dominanzhierarchie und zur Optimierung der elterlichen Investitionen stehen diese Unterschiede zwischen Geschwistern im Einklang mit einer darwinistischen Perspektive auf das Familienleben. Dies gilt auch für andere Zusammenhänge zwischen Persönlichkeit und Familiendynamik, insbesondere im Zusammenhang mit elterlichen Investitionen und Konflikten zwischen Eltern und Kindern. Auch im Erwachsenenalter spiegelt das menschliche Verhalten diese prägenden Einflüsse wider, auch wenn solche Verhaltensdispositionen im Allgemeinen durch geeignete Situationen ausgelöst werden müssen, um voll zum Ausdruck zu kommen.
In einer Studie von Rohrer et al. (2015) wurde die seit langem bestehende Frage untersucht, ob die Position einer Person unter den Geschwistern einen dauerhaften Einfluss auf den Lebensverlauf dieser Person hat. Empirische Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Geburtsreihenfolge und Intelligenz haben überzeugend dokumentiert, dass die Leistungen in psychometrischen Intelligenztests von Erstgeborenen zu Spätgeborenen leicht abnehmen. Im Gegensatz dazu hat die Suche nach Auswirkungen der Geburtsreihenfolge auf die Persönlichkeit noch nicht zu schlüssigen Ergebnissen geführt. Man hat nun Daten aus drei großen nationalen Panels aus den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Deutschland verwendet, um diese offene Forschungsfrage zu klären. Diese Datenbasis ermöglichte es, selbst sehr kleine Effekte der Geburtsreihenfolge auf die Persönlichkeit mit ausreichend hoher statistischer Aussagekraft zu identifizieren und zu untersuchen, ob sich Effekte über verschiedene Stichproben hinweg zeigen. Darüber hinaus hat man zwei verschiedene Analysestrategien angewandt, indem man Geschwister mit unterschiedlicher Geburtsreihenfolge (i) innerhalb derselben Familie (within-family design) und (ii) zwischen verschiedenen Familien (between-family design) verglichen hat, wobei man den erwarteten Effekt der Geburtsreihenfolge auf die Intelligenz bestätigen konnte. Man beobachtete auch einen signifikanten Rückgang des selbst eingeschätzten Intellekts mit zunehmender Geburtsposition, und dieser Effekt blieb auch nach Kontrolle der objektiv gemessenen Intelligenz bestehen. Am wichtigsten ist jedoch, dass man durchwegs keine Auswirkungen der Geburtsreihenfolge auf Extraversion, emotionale Stabilität, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit oder Vorstellungskraft fand. Es zeigte sich auch, dass Mädchen mit jüngerem Bruder eher traditionelle Geschlechterrollen und Verhaltensweisen entwickeln, später auch häufiger traditionell weibliche Berufe wählen und sogar Männer mit traditionell eher männlichen Berufen heiraten. Offenbar sind Mädchen mit jüngeren Brüdern mehr vom Rollenbild ihrer Mutter geprägt, wobei der Effekt in besonders traditionellen Familien deutlicher ist. Aufgrund der hohen statistischen Aussagekraft und der konsistenten Ergebnisse über alle Stichproben und Analysedesigns hinweg kann man zu dem Schluss kommen, dass die Geburtsreihenfolge keine dauerhaften Auswirkungen auf breit gefächerte Persönlichkeitseigenschaften außerhalb des intellektuellen Bereichs hat.
Literatur
Rohrer, Julia M., Egloff, Boris & Schmukle, Stefan C. (2015). Examining the effects of birth order on personality. Proceedings of the National Academy of Sciences, 112, 14224-14229.
Sulloway, F.J. (2001). Birth Order, Sibling Competition, and Human Behavior. In Holcomb, H.R. (eds) ,Conceptual Challenges in Evolutionary Psychology. Studies in Cognitive Systems, 27. Dordrecht : Springer.
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