Der menschliche Altruismus prägte die Evolutionsgeschichte und durchdringt das soziale und politische Leben, doch gibt es enorme individuelle Unterschiede im Altruismus. Einige Menschen sind fast durchgehend egoistisch, während andere einen starken Altruismus zeigen. Frühere Studien haben gezeigt, dass soziale Kategorien wie Geschlecht, Einkommen oder Ausbildung unterschiedliches altruistisches Verhalten kaum erklären können. Neuere neurowissenschaftliche Studien (Morishima et al., 2012) legen nahe, dass Unterschiede in der Hirnstruktur mit Unterschieden in Persönlichkeitsmerkmalen und Fähigkeiten zusammenhängen können. Es zeigte sich, dass Menschen, die sich altruistischer verhalten, auch mehr graue Hirnsubstanz in der Übergangsregion zwischen Scheitel- und Schläfenlappen aufweisen. Bei egoistischen Menschen ist dieses kleine Areal schon bei geringen Kosten einer altruistischen Handlung aktiv, bei altruistischen hingegen wird diese Hirnregion erst dann aktiv, wenn die Kosten bereits sehr hoch sind. Die Hirnregion ist folglich dann besonders stark aktiviert, wenn Menschen an die Grenzen ihrer Bereitschaft gelangen, altruistisch zu handel, da zu diesem Zeitpunkt, die grösste Notwendigkeit besteht, den natürlichen Egozentrismus des Menschen durch Aktivierung dieser Hirnregion zu überwinden.
Neuere Untersuchungen (Obeso et al., 2018) zeigen, dass der rechte temporoparietalen Cortex, eine Hirnregion eine Schlüsselrolle bei der Steuerung sozialer Entscheidungen hat, denn in einem Versuch mussten Probanden entscheiden, ob und in welcher Höhe sie Geld an unterschiedliche Organisationen spenden wollten. Dabei stimulierte man den rechten temporoparietalen Cortex elektromagnetisch, um festzustellen, welcher Beweggründe – grundsätzliche Hilfsbereitschaft, Reputationsüberlegungen oder das Abwägen von moralischen und materiellen Motiven – in diesem Gehirnareal angelegt ist. Es zeigte sich, dass die Studienteilnehmer naheliegenderweise grundsätzlich dazu tendierten, gute Zwecke zu unterstützen und schlechte Zwecke abzulehnen. War der finanzielle Anreiz jedoch genügend groß, gingen sie von altruistischem zu egoistischem Verhalten über. Länger standhaft – und somit moralischer – blieben die Probanden, wenn die Forscher die Aktivität des rechten temporoparietalen Cortex mittels elektromagnetischer Stimulation senkten. Wird also dem Gehirn die Fähigkeit genommen, eigene Wertvorstellungen und finanzielle Anreize gegeneinander abzuwägen, halten Menschen offenbar eher an ihren moralischen Überzeugungen fest, und auch höhere finanzielle Anreize haben dann weniger Einfluss. Wussten die Probanden und Probandinnen, dass ihre Entscheidungen beobachtet wurden, handelten sie sozialer, als wenn sie im Geheimen entscheiden konnten, wobei auf diese Überlegungen zur eigenen Reputation die elektromagnetische Stimulation der untersuchten Hirnregion keinen Einfluss zeigte, ebensowenig wie auf die grundsätzliche Motivation, sich hilfsbereit zu verhalten. Daraus folgert man, dass der rechte temporoparietale Cortex nicht der Sitz altruistischer Motive an sich ist, sondern Menschen die Fähigkeit vermittelt, moralische und materielle Werte gegeneinander abzuwägen.
Literatur
Morishima, Yosuke, Schunk, Daniel, Bruhin, Adrian, C Ruff, Christian & Fehr, Ernst (2012). Linking Brain Structure and Activation in Temporoparietal Junction to Explain the Neurobiology of Human Altruism. Neuron, 75, doi:10.1016/j.neuron.2012.05.021.
Obeso, Ignacio, Moisa, Marius, Ruff, Christian C. & Dreher, Jean-Claude (2018). A causal role for right temporo-parietal junction in signaling moral conflict. eLife, doi:10.7554/eLife.40671.
Stangl, W. (2014). Stichwort: ‚Altruismus‘. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
WWW: https://lexikon.stangl.eu/1162/altruismus/ (2014-08-12)
https://www.media.uzh.ch/de/medienmitteilungen/2019/Moral.html (19-03-14)
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