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Alleinsein und Einsamkeit

Allein sein müssen ist das Schwerste, allein sein können das Schönste.
Hans Krailsheimer

Viele Frauen heiraten, weil sie des Alleinseins müde sind.
Und viele Frauen lassen sich scheiden, weil sie des Alleinseins müde sind.
Hanne Wieder

Alleinsein und Einsamkeit haben aus psychologischer Sicht wenig miteinander zu tun, denn Einsamkeit ist nicht an die physische An- und Abwesenheit von Menschen gebunden, schon gar nicht an die Anzahl von Menschen, die man kennt (Phänomen Facebook), denn wer einsam ist, dem fehlen nicht einfach Menschen sondern vielmer das Gefühl, von diesen beachtet zu werden, anerkannt und gebraucht zu werden. Einsamkeit charakterisiert daher in er Regel eine tiefe Unzufriedenheit mit bestehenden Beziehungen. Es gibt immer soziale Situationen im Alltag, bei denen man keinen Menschen kennt, etwa beim ersten Tag an einer neuen Schule, auf einer Party, aber auch beim Blick ins das Zimmer das Kindes, das aus dem elterlichen Haushalt ausgezogen ist, oder die Rückkehr in eine gemeinsame Wohnung nach dem Verlust des Lebenspartners. Wird allerdings ein Mensch sozial ausgeschlossen oder zurückgewiesen, dann wird bei ihm jenes Zentrum im Gehirn aktiviert, das auch bei körperlichem Schmerz aktiv ist, denn in der Geschichte der Menschheit ist die Zugehörigkeit zu anderen überlebenswichtig gewesen. Nicht ohne Grund ist die schlimmste Strafe, die Kulturen weltweit über ihre abtrünnigen Mitglieder verhängen, die Isolation von der Gruppe, etwa als Ausstoß aus dem Clan oder als Einzelhaft.

Der Begriff des Alleinsein, der heute eher ein neutraler Begriff ist und sogar positiv verwendet wird, war im 18. und 19. Jahrhundert anders konnotiert, denn damals waren Wortschöpfungen wie mutterseelenallein und Konjunktionen wie ganz allein gebräuchlich, während die Einsamkeit dagegen eher positiv gesehen wurde. Heute wird Alleinsein viel stärker mit Autonomievorstellungen verbunden – also alleine leben, selbstständig sein, unabhängig sein. Einsamkeit wird hingegen eher mit Mangelerfahrungen und dem Verlust von Autonomie assoziiert, d. h., Einsamkeit ist zu einer Art des Gefangenseins im Alleinsein geworden.

Das Gefühl, einsam zu sein, ist demnach ein Warnsignal, denn es fordert die Betroffenen dazu auf, Anschluss zu suchen, Kontakte einzufordern, aktiv zu werden. Der Wunsch, Menschen zu haben, denen man vertrauen kann und die sich um einen sorgen, ist Ausdruck eines fundamentalen Bedürfnisses nach sozialem Anschluss (Affiliationsbedürfnis) und emotionaler Bindung. In der Psychologie unterscheidet man daher die soziale Einsamkeit, die einen Mangel an sozialer Integration erfasst, und die emotionale Einsamkeit, die durch einen Mangel an Vertrauenspersonen gekennzeichnet ist. Siehe dazu Risikofaktor Einsamkeit.

Peplau und Perlman beschrieben in den 80er-Jahren die Einsamkeit als Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach engen Sozialkontakten und dem tatsächlichen Maß an Beziehungen, wobei diese beiden Psychologen dazu beitrugen, die Unterscheidung von Alleinsein und Einsamkeit zu etablieren. Während Alleinsein die objektiv messbare Abwesenheit von Menschen meint, die manchmal durchaus angenehm sein kann, ist Einsamkeit immer negativ, denn sie bezeichnet das subjektive Gefühl, das aus einem empfundenen Defizit in sozialen Beziehungen entsteht, sodass Einsamkeit auch dann entstehen kann, wenn sich bestehende Kontakte nicht nah genug anfühlen, wenn man zwar viele Freunde hat oder umgeben von Menschen ist, sich aber dennoch einsam fühlt.

Es gibt keine klare Diagnose für Einsamkeit und daher auch keinen statistischen Wert, ab dem jemand einsam ist, sondern man misst das Phänomen der Einsamkeit, indem man Menschen entweder direkt befragt oder indirekt zur sozialen Verbundenheit. Aus den Antworten kann man dann einschätzen, wie hoch der Anteil derjenigen ist, die sich manchmal, oft oder immer einsam fühlen. Sicher ist, dass Einsamkeit zu gravierenden psychischen und körperlichen gesundheitlichen Problemen führen kann, denn chronisch einsame Menschen werden eher depressiv, entwickeln eher Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und sterben sogar früher im Vergleich zu nicht einsamen Menschen. Luhmann & Hawkley (2016) schätzen, dass zehn bis zwanzig Prozent der Menschen zumindest manchmal von Einsamkeitsgefühlen betroffen sind. Daher wäre es notwendig, die Rahmenbedingungen zu verbessern, um Betroffenen die Teilnahme am täglichen sozialen Leben zu erleichtern, d. h., gezielte Förderung von Initiativen, die sich gezielt an einsame Menschen wenden, kann hilfreich sein. Zusätzlich ist auch ein Ausbau der psychotherapeutischen Versorgung notwendig, denn Menschen, die schon lange chronisch einsam sind, kommen häufig nicht mehr ohne professionelle Unterstützung heraus.

Forschungen belegen, dass ein gewisses Maß an Alleinsein den Menschen nützt, denn es fördert etwa die Kreativität, die Konzentration und das Lernen, man hat beim Alleinsein mehr Zeit, sich mit sich selbst und dee Welt auseinanderzusetzen, kann dabei vielleicht neue Ideen entwickeln. Alleinsein meint also eine Art Selbstreflexion, denn ist man permanent mit anderen Menschen zusammen oder läuft man immer mit der Masse mit, kann man nur schwer erkennen, was einen selber als Person ausmacht. Durch das Alleinsein kann man sich auch besser selbst regulieren und vielleicht sogar etwas im Leben verbessern, wenn man sich etwa vornimmt, sportlicher zu werden, scheitert das oft am Alltag, doch im Alleinsein funktioniert eine solche Selbstregulation besser, und das, was man sich vorgenommen hat, kann allein wie geplant durchgeführt werden.

Übrigens: Menschen, die zu lange alleine oder gar einsam sind, fokussieren sich oft sehr stark auf sich selbst, was dazu führen kann, sich erst recht einsam zu fühlen, wobei die Wandlung zum Egozentriker dazu führen kann, dass Mitmenschen zusätzlich auf Abstand gehen. Cacioppo et al. (2017) begleiteten über zehn Jahre Bewohnern von Cook County, Illinois, wobei die Probanden jährlich umfangreiche Fragebögen auszufüllen haben. Dabei stellte man fest, dass Einsamkeit in einem Jahr mit besonderer Ichbezogenheit im Jahr darauf korrelierte, wobei im umgekehrten Fall Ichbezogenheit wiederum Einsamkeit im Folgejahr begünstigte. Die Gesellschaft anderer Menschen mag zwar anstrengend sein, doch ohne soziales Umfeld mutiert man wohl zum Einzelgänger, indem sich Einsamkeit und Ichbezogenheit gegenseitig hochschaukeln.

Es gibt im Leben Phasen, in denen man sich eher einsam fühlt, etwa wenn man als junger Mensch von daheim auszieht. Doch das sind meist nur kurze Phasen im Leben, die vorübergehen. Dennoch ist es wichtig, diese wahrzunehmen und als Impuls zu nutzen, dass man auch etwas ändern kann. Nimmt man die Einsamkeit also wahr, kann man sie nutzen, indem man selbst etwas aktiv tut. Es gibt keine feste Definition, ab wann ein Mensch  als sozial isoliert gilt, denn nur im Extremfall, wenn ein Mensch keinerlei Kontakte und keine positiven Beziehungen mehr hat, ist Einsamkeit krankheitswertig.

Anmerkung: Allerdings zeigen die meisten Untersuchung zur Einsamkeit nicht, ob das Alleinleben wirklich die Ursache für Erkrankungen ist, denn einen statistischen Zusammenhang gibt es nur bei den Menschen, die sich tatsächlich einsam fühlen, und das ist natürlich nicht bei jedem der Fall, der allein lebt.


Einsamkeit ist der Weg, auf dem das Schicksal den Menschen zu sich selber führen will.
Hermann Hesse


In Großbritannien hat 2018 die britische Regierung ein Ministerium für den Kampf gegen die Einsamkeit eingerichtet, wobei man eine Einsamkeitsstrategie formuliert und ein Budget von über 14 Millionen Euro zur Verfügung gestellt ha. Die aktuelle (2019) Amtsinhaberin, Baronesse Diana Barran, Parliamentary Under-Secretary of State for Civil Society and Loneliness, stellte einen neuen 2,5-Millionen-Euro-Fonds vor, der Organisationen finanziell helfen soll, Menschen zusammenzubringen und soziale Verbindungen zu schaffen. Das Einsamkeitsministerium unterstützt Projekte, die dem Alleinsein auf ganz unterschiedliche Weise begegnen, indem etwa Wandergruppen und Gemeindechöre subventioniert werden oder Stadtteilzentren und Beratungsstellen Zuschüsse erhalten. Eine Initiative nennt sich „Rural Coffee Caravan“, bei dem ein Wohnwagen-Café in Dörfern der Grafschaft Sussex ambulante Kaffeetreffs anbietet. Ärzte dürfen im Rahmen des „Social Prescribing“ Gesellschaft auf Rezept zu verschreiben, wobei diese soziale Medikation Betroffene mit Helfern zusammenbringt, die bei sozialen Problemen assistieren oder Aktivitäten organisieren.


Literatur

J. T. Cacioppo, H. Y. Chen, & S. Cacioppo (2017). Reciprocal Influences Between Loneliness and Self-Centeredness: A Cross-Lagged Panel Analysis in a Population-Based Sample of African American, Hispanic, and Caucasian Adults. Personality and Social Psychology Bulletin, 43, 1125-1135.
Luhmann, M., & Hawkley, L. C. (2016). Age differences in loneliness from late adolescence to oldest old age. Developmental Psychology, 50(6), 943-959. doi: 10.1037/dev0000117


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