Die digitale Lernlandschaft hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert, denn Studierende nutzen zunehmend die Möglichkeit, Online-Vorlesungen, Podcasts oder Lernvideos mit erhöhter Wiedergabegeschwindigkeit zu konsumieren. Diese Praxis, auch als Speed-Learning bezeichnet, erscheint zunächst effizient, denn mehr Inhalte in kürzerer Zeit klingt nach einem klugen Zeitmanagement. Eine aktuelle Umfrage unter kalifornischen Studierenden zeigte, dass 89?Prozent von ihnen die Wiedergabegeschwindigkeit regelmäßig anpassen, wobei die Beschleunigung zur neuen Norm geworden ist (Tharumalingam & Risko, 2025).
Hinter diesem Verhalten stehen vielfältige Motive: Zeitersparnis, bessere Fokussierung, gesteigerter Lernwille. Viele glauben sogar, durch wiederholtes, beschleunigtes Hören die Inhalte besser zu verinnerlichen. Doch neuere Forschung zeigt, dass diese Strategie ihre Grenzen hat, insbesondere im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit des menschlichen Arbeitsgedächtnisses, denn das muss beim Zuhören nicht nur Wörter erkennen, sondern auch deren kontextuelle Bedeutung erschließen, abspeichern und abrufbar halten. Dieser Prozess der Kodierung benötigt aber Zeit, und genau diese Zeit wird beim Speed-Learning knapp.
Nach Erkenntnissen der Kognitionswissenschaft kann das menschliche Gehirn Informationen nur bis zu einem gewissen Tempo sinnvoll verarbeiten. Während Menschen durchschnittlich etwa 150 Wörter pro Minute sprechen, bleibt die Verständlichkeit bei erhöhter Geschwindigkeit von 1,5- bis maximal 2-facher Geschwindigkeit zwar zunächst erhalten, doch die kognitive Belastung steigt dabei extrem an und ab einem bestimmten Punkt tritt eine Überforderung des Arbeitsgedächtnisses ein, die sich in schlechteren Testergebnissen niederschlägt.
Eine Metaanalyse von Tharumalingam et al. (2025), in der 110 Effektstärken aus 24 Studien analysiert wurden, bestätigt diesen Zusammenhang: Bis zu einer Geschwindigkeit von 1,5-fach ist der negative Einfluss auf die Testleistung gering – rund zwei Prozentpunkte. Bei einer Verdopplung der Wiedergabegeschwindigkeit verschlechterte sich die Leistung bereits spürbar. Am deutlichsten war der Effekt bei 2,5-facher Geschwindigkeit: Hier sanken die Testergebnisse im Durchschnitt um 17 Prozentpunkte. Besonders betroffen von dieser kognitiven Überlastung sind ältere Erwachsene. Die Analyse zeigt, dass Menschen im Alter von 61 bis 94 Jahren empfindlicher auf beschleunigte Vorträge reagieren – vermutlich aufgrund altersbedingter Einschränkungen der Gedächtnisleistung. Unklar bleibt aber, ob sich jüngere Menschen langfristig an erhöhte Wiedergabegeschwindigkeiten anpassen können oder ob diese Gewöhnung möglicherweise andere kognitive Kosten verursacht.
Auch wenn die Forschung zeigt, dass leicht erhöhte Geschwindigkeiten beim Lernen nicht zwangsläufig schädlich sind, sollte man auf das Gleichgewicht zwischen Effizienz und Erinnerungsfähigkeit achten. Wer Lerninhalte nicht nur kurzfristig aufnehmen, sondern auch langfristig behalten will, sollte berücksichtigen, dass der Mensch kein Computer ist, der unbegrenzt schnell Informationen verarbeiten kann.
Siehe auch Wundermethoden des Studierens.
Literatur
Tharumalingam, T., Roberts, B. R. T., Fawcett, J. M., & Risko, E. F. (2025). Increasing video lecture playback speed can impair test performance – a meta-analysis. Educational Psychology Review, 37(2), 35.
Tharumalingam, T., & Risko, E. F. (2025). Altering the playback speed of recorded lectures as a learning technique: Examining student practices, motivations, and beliefs. Journal of Research on Technology in Education, 1–20.
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