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Gehirn und Geschlecht

Es gibt bereits umfangreiche Forschungen zu Unterschieden im Gehirn zwischen Männern und Frauen sowie zur Rolle von Sexualhormonen. Allerdings sind die Auswirkungen dieser anatomischen Unterschiede auf die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der intrinsischen Hirnfunktion noch nicht vollständig geklärt. In einer aktuellen Studie untersuchen Serio et al. (2024), ob Geschlechtsunterschiede in der intrinsischen kortikalen funktionellen Organisation mit Unterschieden in der kortikalen Morphometrie, also verschiedenen Maßen der Hirngröße, der Mikrostruktur und der geodätischen Distanz von Konnektivitätsprofilen, in Verbindung stehen. Zu diesem Zweck berechneten die Forschenden eine niedrigdimensionale Darstellung der funktionellen kortikalen Organisation, die sogenannte Sensor-Assoziations-Achse, und stellten dabei weit verbreitete Geschlechtsunterschiede fest. Entgegen den ursprünglichen Erwartungen scheinen die Geschlechtsunterschiede in der funktionellen Organisation jedoch nicht systematisch mit Unterschieden in der Gesamtoberfläche, der mikrostrukturellen Organisation oder der geodätischen Distanz verbunden zu sein. Obwohl diese morphometrischen Eigenschaften an sich mit der funktionellen Organisation in Verbindung stehen und sich zwischen den Geschlechtern unterscheiden, sind die funktionellen Geschlechtsunterschiede auf der sensorischen Assoziationsachse stattdessen mit Unterschieden in den funktionellen Konnektivitätsprofilen und der Netzwerktopologie verknüpft. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Geschlechtsunterschiede in der funktionellen kortikalen Organisation über die Unterschiede in der kortikalen Morphometrie hinausgehen. Möglicherweise spielen auch subtilere funktionelle und strukturelle Unterschiede in der kortikalen Organisation eine Rolle, die mit den bisher verwendeten Methoden noch nicht vollständig erfasst wurden.

Eine zweite Studie von Küchenhoff et al. untersuchte diese Fragestellung aus einer anderen Perspektive. Die Forschenden konzentrierten sich dabei insbesondere auf die Wechselwirkungen zwischen Geschlecht, Hirnstruktur und Kognition. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Beziehung zwischen Hirnstruktur und Kognition bei Männern und Frauen teilweise unterschiedlich ist. Diese Erkenntnisse könnten wichtige Implikationen für unser Verständnis der geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Hirnfunktion und -leistung haben.

Insgesamt zeigen diese Studien, dass die Zusammenhänge zwischen Geschlecht, Hirnstruktur und Hirnfunktion komplex und vielschichtig sind. Weitere Forschung ist erforderlich, um die zugrunde liegenden Mechanismen und Ursachen dieser Unterschiede besser zu verstehen. Allerdings sind Geschlechtsunterschiede im Gehirn generell eher klein, und das biologische Geschlecht stellt tatsächlich ein Kontinuum dar, anstatt nur zwei klar definierte Kategorien zu sein. Beide Forschungsarbeiten betonen daher die Notwendigkeit weiterer Studien, um die genauen Ursachen und Auswirkungen dieser Unterschiede auf Gesundheit und Kognition besser zu verstehen. Darüber hinaus verweisen die Ergebnisse auf das Problem des „Female Data Gap“ in der medizinischen Forschung. Hier wird der männliche Körper oft als Standard angesehen, wodurch wichtige geschlechtsspezifische Unterschiede übersehen werden können. Um eine ganzheitliche und präzise medizinische Versorgung zu gewährleisten, ist es daher entscheidend, diesen Bias in zukünftigen Studien zu adressieren und den weiblichen Körper stärker in den Fokus zu rücken.

Literatur

Küchenhoff, Svenja, Bayrak, ?eyma, Zsido, Rachel G., Saberi, Amin, Bernhardt, Boris C., Weis, Susanne, Schaare, H. Lina, Sacher, Julia, Eickhoff, Simon, Valk, Sofie L. (2024). Relating sex-bias in human cortical and hippocampal microstructure to sex hormones. Nature Communications, 15, doi:10.1038/s41467-024-51942-1.
Serio, Bianca, Hettwer, Meike D., Wiersch, Lisa, Bignardi, Giacomo, Sacher, Julia, Weis, Susanne, Eickhoff, Simon B., Valk, Sofie L. (2024). Sex differences in functional cortical organization reflect differences in network topology rather than cortical morphometry. Nature Communications, 15, doi: 10.1038/s41467-024-51942-1.


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