Zum Inhalt springen

Körpergröße, Gehirngröße und Klimawandel

Die zunehmende Körper- und Gehirngröße ist ein zentrales makro-evolutionäres Muster in der Homininen-Linie, doch die Mechanismen hinter diesen Veränderungen sind noch weitgehend ungeklärt. Man vermutet, dass Umwelt-, demografische, soziale, diätetische und technologische Faktoren hierbei eine Rolle spielen.

Will et al. (2020) untersuchen den Einfluss von Umweltfaktoren auf die Entwicklung der Körper- und Gehirngröße der Gattung Homo während der letzten Million Jahre, indem man einen großen Fossildatensatz mit globalen paläoklimatischen Rekonstruktionen und formalisierten Hypothesen kombinierte. In Übereinstimmung mit der Bergmannschen Regel identifizierte man dabei die Temperatur als einen der wichtigsten Prädiktoren für die Variation der Körpergröße bei Homo. Im Gegensatz dazu korrelierten die Nettoprimärproduktivität der Umwelt und die langfristige Variabilität der Niederschläge mit der Gehirngröße, erklärten aber nur einen geringen Teil der beobachteten Variation. Diese Zusammenhänge sind wahrscheinlich auf einen indirekten Umwelteinfluss auf kognitive Fähigkeiten und Aussterbewahrscheinlichkeiten zurückzuführen, denn die meisten der untersuchten Umweltfaktoren stimmten nicht mit der Entwicklung der Körper- und Gehirngröße überein, was vermutlich auf komplexe Szenarien hinweist, die der Entwicklung der wichtigsten biologischen Merkmale des späteren Homo zugrunde liegen.


Schlagzeilen in den Medien 😉
Studie: Erderwärmung lässt offenbar unsere Gehirne schrumpfen
Klimaerwärmung lässt unser Gehirn schrumpfen
Das menschliche Gehirn und warum es geschrumpft ist


Stibel (2023) hat in diesem Zusammenhang jüngst den Klimawandel als Umweltfaktor untersucht, indem er mehrere paläoklimatische Aufzeichnungen nutzte, in denen Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Niederschlag mit Veränderungen der Gehirngröße von Homo-Exemplaren in den letzten fünfzigtausend Jahren verglichen werden. Es zeigte sich, dass in den regionalen und globalen Paläoklimaaufzeichnungen die Gehirngröße bei Homo in Zeiten der Klimaerwärmung im Durchschnitt deutlich geringer war als in kühleren Perioden. Geologische Epochen wiesen ähnliche Muster auf, wobei die Wärmeperioden des Holozäns signifikant kleinere Gehirne aufwiesen als diejenigen, die während der Eiszeiten am Ende des Spätpleistozäns lebten. Die Überprüfung der raum-zeitlichen Muster ergab, dass die Anpassungsreaktion vor etwa fünfzehntausend Jahren begonnen hat und möglicherweise bis in die Neuzeit andauert. In geringerem Maße waren auch die Luftfeuchtigkeit und die Niederschlagsmenge für die Gehirngröße ausschlaggebend, wobei trockene Perioden mit einer größeren Gehirngröße bei Homo zusammenhängen dürften. Die Ergebnisse deuten also darauf hin, dass die Größe des menschlichen Gehirns eine adaptive Reaktion auf einen Klimawandel ist, die durch eine natürliche Selektion als Reaktion auf Umweltstress hervorgerufen wird.

Literatur

Stibel, Jeff Morgan (2023). Climate Change Influences Brain Size in Humans. Brain Behavior and Evolution, 98, 93-106.
Will, Manuel, Krapp, Mario, Stock, Jay T. & Manica, Andrea(2021). Different environmental variables predict body and brain size evolution in Homo. Nature Communications, 12, doi:10.1038/s41467-021-24290-7.


Nachricht ::: Stangls Bemerkungen ::: Stangls Notizen ::: Impressum
Datenschutzerklärung ::: © Werner Stangl :::





Schreibe einen Kommentar