Menschliche Säuglinge kommen bekanntlich neurologisch unreif zur Welt, was möglicherweise auf den widersprüchlichen Selektionsdruck zwischen zweibeiniger Fortbewegung und Gehirnentwicklung zurückzuführen ist, wie die Hypothese des geburtshilflichen Dilemmas nahelegt, das Frémondière et al. (2022) untersucht haben. Australopithecinen waren dabei ideal für die Untersuchung dieses Zielkonflikts, da diese ein zweibeinig angepasstes Becken, aber relativ kleine Gehirne besaßen. Geburtssimulationen zeigten, dass die Rotationsgeburt nicht allein aus der Knochenmorphologie abgeleitet werden kann, da verglichen mit den Menschenaffen die Geburt bereits bei den Australopithecinen vor zwei bis vier Millionen Jahren schon schwierig war. Vormenschen wie Lucy besaßen noch ein relativ kleines, affenähnliches Gehirn, ihr Becken wies aber bereits deutliche Anpassungen an den aufrechten Gang auf.
Basierend auf einer Reihe von Beckenrekonstruktionen und fötalen Kopfgrößen deuten die von den Forschern und Forscherinnen vorgenommenen Simulationen darauf hin, dass schon die Australopithecinen wie die Menschen heute unreife Neugeborene mit relativ kleineren Köpfen zur Welt brachten als nicht-menschliche Primaten derselben Körpergröße, insbesondere wenn die Dicke der Weichteile angemessen approximiert wurde. Australopithecus-Babys waren daher bei der Geburt ähnlich neurologisch unterentwickelt und auf Hilfe angewiesen wie die Menschenbabys heutzutage.
Man kann daher zu dem Schluss, dass Australopithecinen für die Versorgung ihrer Kinder eine kooperative Aufzucht benötigten, sodass diese Voraussetzungen für eine fortgeschrittene kognitive Entwicklung daher eine Folge der Anpassungen des Skeletts an die zweibeinige Fortbewegung gewesen zu sein scheinen, die dem Auftreten der Gattung Homo und der zunehmenden Enzephalisierung vorausgingen.
Literatur
Frémondière, Pierre, Thollon, Lionel, Marchal, François, Fornai, Cinzia, Webb, Nicole M. & Haeusler, Martin (2022). Dynamic finite-element simulations reveal early origin of complex human birth pattern. Communications Biology, 5, doi:10.1038/s42003-022-03321-z.
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