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Warum Erythropoetin auch geistig leistungsfördernd ist

    Erythropoetin (EPO) ist ein Glykoprotein-Hormon, das die Bildung der Erythrozyten aus Vorgängerzellen im Knochenmark (Erythropoese) steuert. Sinkt die Anzahl der roten Blutkörperchen oder der Sauerstoffgehalt im Blut, produziert vor allem die Niere Erythropoetin. doch auch die Leber, das Gehirn, die Gebärmutter, die Hoden und die Milz sind in der Lage, dieses Hormon zu bilden. Ausdauersportler schätzen diesen Effekt, denn werden mehr rote Blutkörperchen produziert, kann der Körper mehr Sauerstoff transportieren. Erythropoietin ist daher ein bekanntes aber verbotenes Dopingmittel.

    Wakhloo et al. (2020) haben nun entdeckt, dass geistige Herausforderungen in den Nervenzellen des Gehirns einen leichten Sauerstoffmangel (funktionelle Hypoxie) auslösen, was die Produktion von Erythropoietin und seinen Rezeptoren in den aktiven Nervenzellen anregt, wodurch aus benachbarten Vorläuferzellen neue Nervenzellen gebildet werden, wodurch sich die Zellen auch effektiver miteinander verbinden. Am Mausmodell konnte gezeigt werden, welcher körpereigene Mechanismus dieser höheren Leistungsfähigkeit des Gehirns zugrunde liegt. Man fand, dass erwachsene Mäuse nach der Gabe von Erythropoietin zwanzig Prozent mehr Nervenzellen in der Pyramidenschicht des Hippocampus bildeten, also jener für Lernen und Gedächtnis entscheidende Hirnregion. In einer Reihe gezielter Experimente konnten sie auch belegen, dass Nervenzellen beim Lernen komplexer motorischer Aufgaben mehr Sauerstoff benötigen, als ihnen normalerweise zur Verfügung steht. Der dadurch entstehende leichte Sauerstoffmangel liefert in den Nervenzellen das Signal zur vermehrten Erythropoietin-Produktion, wobei es sich hierbei um einen selbstverstärkenden Prozess handelt: Geistige Anstrengung führt zu leichter Hypoxie, der wiederum die Produktion von Erythropoietin und seinen Rezeptoren in den entsprechend aktiven Nervenzellen anregt. Erythropoietin steigert anschließend die Aktivität dieser Nervenzellen, bewirkt die Bildung neuer Nervenzellen aus benachbarten Vorläuferzellen, und erhöht deren komplexe Vernetzung, um auf diese Weise zu der bei Mensch und Maus messbaren Verbesserung der geistigen Leistungsfähigkeit zu führen.

    Eine Studie von Ye et al. (2025) fand heraus, dass EPO die Entwicklung und Reifung von Oligodendrozyten fördert. Diese Zellen sind essenziell, da sie die schützende Myelinschicht um Nervenfasern, die Axone, bilden. Diese Isolierschicht ermöglicht eine schnelle und effiziente Signalübertragung. Ohne einen bestimmten EPO-Rezeptor in diesen Zellen zeigten Mäuse Gedächtnisdefizite und Störungen in der Myelinstruktur. Die Forschungsergebnisse belegen zudem, dass EPO die Aktivität verschiedener Gene beeinflusst, die mit der Zellreifung, Signalübertragung und den kognitiven Funktionen zusammenhängen. Interessanterweise wird EPO nicht nur als Medikament verabreicht, sondern auch vom Körper selbst produziert, beispielsweise durch körperliche oder geistige Anstrengung. Diese Erkenntnisse untermauern die Hypothese, dass Bewegung und kognitive Aktivität das Gehirn direkt über das körpereigene EPO-System strukturell verbessern können. Da EPO bereits als Medikament zugelassen ist, eröffnen sich neue therapeutische Möglichkeiten. Es könnte zukünftig bei der Behandlung von kognitiven Störungen oder neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer eingesetzt werden, entweder direkt als Medikament oder durch gezielte Aktivierung des körpereigenen Systems, beispielsweise durch motorisch-kognitives Training.

    Literatur

    Stangl, W. (2025, 20. September). Erythropoietin (EPO) als therapeutischen Chance für das Gehirn? . Stangl notiert ….
    https:// notiert.stangl-taller.at/gehirnforschung/erythropoietin-epo-als-therapeutischen-chance-fuer-das-gehirn/.
    Wakhloo, Debia, Scharkowski, Franziska, Curto, Yasmina, Javed Butt, Umer, Bansal, Vikas, Steixner-Kumar, Agnes A., Wüstefeld, Liane, Rajput, Ashish, Arinrad, Sahab, Zillmann, Matthias R., Seelbach, Anna, Hassouna, Imam, Schneider, Katharina, Qadir Ibrahim, Abdul, Werner, Hauke B., Martens, Henrik, Miskowiak, Kamilla, Wojcik, Sonja M., Bonn, Stefan, Nacher, Juan, Nave, Klaus-Armin & Ehrenreich, Hannelore (2020). Functional hypoxia drives neuroplasticity and neurogenesis via brain erythropoietin. Nature Communications, 11, doi:10.1038/s41467-020-15041-1.
    Ye, L., Daguano Gastaldi, V., Curto, Y., Wildenburg, A.-F., Yu, X., Hindermann, M., Eggert, S., Ronnenberg, A., Wang, Q., Butt, U. J., Kawaguchi, R., Geschwind, D., Möbius, W., Boretius, S., Singh, M., Nave, K.-A. & Ehrenreich, H. (2025). Transcriptional dynamics of the oligodendrocyte lineage and its regulation by the brain erythropoietin system. Nature Communications, 16, 8291.


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