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Bild vs Wort

Eine grundsätzliche Kritik an der Vorherrschaft von Schrift und Sprache stammt von Otto Neurath, der als Initiator und Vordenker für eine bildpädagogische Wende steht, als er gemeinsam mit dem Künstler Gerd Arntz die „Wiener Methode der Bildstatistik“ – Isotypie – entwickelte. Mit Hilfe piktogrammatischer Zeichen galt ihr Versuch, statistisches Wissen in allgemein verständliche Lehrbilder zu übersetzen. Dieser visuelle Transformationsprozess hatte zum Ziel, andernfalls schwer verständliche Inhalte für die Arbeiterschaft und andere benachteiligte Gesellschaftsgruppen aufzubereiten und damit zugänglich zu machen.

NeurathDie „Wiener Methode“ charakterisierte Neurath mit der Technik der drei Blicke. Auf den ersten enthüllt eine Schautafel grundlegende Zusammenhänge, auf den zweiten die Details und auf den dritten eventuelle weitere Feinheiten. Eine Schautafel, die auf den vierten Blick weitere Informationen preisgibt, widerspricht indes dem pädagogischen Dreiblick-Konzept Neuraths, das zu aller erst als pragmatisches Mittel zur Hebung des Bildungsstandes der Arbeiterklasse entwickelt wurde: Wer den ganzen Tag in der Fabrik arbeitet, liest abends keine komplexen wissenschaftlichen Werke, geht auch nicht ins Museum. Also waren die Ziele: vorwiegend statistisches Material, Zahlen, Daten zu „transformieren“, also für ihre grafische Übersetzung aufzubereiten, ein standardisierte Werkzeuge im Sinne eines Bild-Repertoires zu schaffen und die so im Wiener Institut für Wirtschaftsforschung entstandenen Bildtafeln in Form von leicht zerlegbaren und transportablen Wanderausstellungen an öffentliche, exponierte Orte zu bringen.

Grundlegend für dieses Demokratisierungsprinzip der Wissensvermittlung ist der durchaus problematische Glaube an eine direkte und unmittelbare Verständlichkeit von Bildern. Vor allem in den Vereinigten Staaten im Rahmen der „Visual Education Movement“ versuchte man, visuelle Lehrmittel, wie etwa Film, Fotografie, Lichtbildvorträge, aber auch Schaubilder in den Unterrichtsplan zu integrieren. Während des Zweiten Weltkrieges ging es in den USA darum, Laien für den Kriegsdienst in möglichst kurzer Zeit auszubilden, was mit Hilfe von Schautafeln mit Diagrammen, Explosionsansichten und bildlichen Anleitungen erreicht werden sollte, um diesen Unterricht möglichst anschaulich zu gestalten. Auch wurden Künstler und Künstlerinnen rekrutiert, die anhand von bildgebenden Verfahren komplexe Inhalte in einfache Darstellungen übersetzen sollten. Vor allem sollten selbsterklärende Schautafeln zur eigenständigen Anlernung eines Wissensgegenstandes verhelfen. Dieser pädagogische Visualisierungsschub beeinflusste auch Felder abseits des Militärs, denn so sandte das Museum of Modern Art in New York ab den 1930er Jahren Wanderausstellungen an Schulen in den USA, die grundlegende Themen über moderne Kunst im Format der Schautafel zu vermitteln suchten. Dem Format, aber auch der visuellen Ausgestaltung der Schautafel kam dabei die Funktion zu, einem oftmals kunstfremden Publikum abseits der Metropole New York, Inhalte in leicht verständlicher Weise zugänglich zu machen. Damit verband man die Hoffnung, dass dadurch Informationen möglichst übersichtlich und unmittelbarer zugänglich sind als durch andere Medien.

Otto Neuraths Anspruch der Demokratisierung des Wissens erlebt heute eine Renaissance in der Hoffnung auf das Internet als frei zugängliche globale Bibliothek für alle, jedoch bietet das WWW heute durchaus ein konträres Bild, vor allem die von Usability-Forschern beklagte Uneinheitlichkeit bei Navigationskonzepten ist augenfällig (Pettauer, 2002).

Literatur

Pettauer, Richard (2002). Otto Neurath Revisited. WWW: http://www.telepolis.de/deutsch/special/med/13678/1.html (03-05-22)
Stangl, W. (2003). Zur Philosophie der Kommunikation. [werner stangl]s arbeitsblätter.
WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/KOMMUNIKATION/KommunikationPhilosophie.shtml (03-02-17).
Steidl, Katharina (2020). Schaubilder. Operative Bildlichkeit und visuelle Kommunikation.
https://science.orf.at/stories/2973569/ (20-02-16)


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