Es gibt zahlreiche Untersuchungen über die Auswirkungen des Fernsehens auf die Kognition bei Kindern (Stangl, 2012), doch viel weniger Forschung über die Auswirkungen bei älteren Erwachsenen. Fernsehen ist für das menschliche Gehirn insofern paradox, als permanent wechselnde sensorische Stimuli das Gehirn bis zum Stress aktivieren, während der Körper in mehr oder weniger Bewegungslosigkeit verharrt, wodurch einerseits die Wachsamkeit hoch gehalten wird wird, gleichzeitig das Gehirn aber die Fähigkeit verliert, sich zu fokussieren. Fancourt & Steptoe (2019) haben nun untersucht, ob das Fernsehverhalten von Erwachsenen ab fünfzig Jahren mit einem Rückgang der Kognition verbunden ist. Unter Verwendung von Daten aus der English Longitudinal Study of Aging wurden multivariate lineare Regressionsmodelle verwendet, um Zusammenhänge zwischen dem Fernsehkonsum und der kognitiven Leistung sechs Jahre später zu finden. Dabei wurden demographische Variablen wie sozioökonomischen Status, Gesundheit, Einkommen, soziale Einbindung und körperliche Aktivität kontrolliert. Es zeigte sich, dass mehr als 3,5 Stunden pro Tag TV-Konsum mit einem Rückgang des verbalen Gedächtnisses in den folgenden sechs Jahren verbunden ist. Dieser Rückgang findet sich insbesondere bei jenen mit besseren kognitiven Leistungen zu Studienbeginn, insbesondere bei der semantischen Sprachkompetenz.
In einer neueren Studie haben Dougherty et al. (2021) untersucht, ob langfristiges Fernsehkonsumverhalten, eine häufige sitzende Tätigkeit, im frühen bis mittleren Erwachsenenalter mit dem Volumen der grauen Substanz im Gehirn in der Lebensmitte verbunden ist und ob dies unabhängig von körperlicher Aktivität ist. Sie untersuchten 599 Teilnehmer (51 % weiblich, 44 % schwarz, Durchschnittsalter 30,3 ± 3,5 Jahre bei Studienbeginn und 50,2 ± 3,5 Jahre bei Nachuntersuchung und MRT) aus der prospektiven Coronary Artery Risk Development in Young Adults Studie. Sie bewerteten die Fernsehmuster mit einem wiederholten, von einem Interviewer ausgefüllten Fragebogen über einen Zeitraum von zwanzig Jahren. Strukturelle MRI-Messungen der Volumina des frontalen Cortex, des entorhinalen Cortex, des Hippocampus und der gesamten grauen Substanz wurden in der Lebensmitte durchgeführt. Im Laufe der zwanzig Jahre gaben die Teilnehmer an, durchschnittlich 2,5 ± 1,7 Stunden pro Tag fernzusehen. . Es zeigte sich, dass ein höherer Fernsehkonsum negativ mit dem Volumen der grauen Substanz im frontalen und entorhinalen Cortex sowie der gesamten grauen Substanz, nicht aber mit dem Hippocampus verbunden war. Diese Ergebnisse blieben nach zusätzlicher Berücksichtigung der Daten für körperliche Aktivität unverändert. Bei Erwachsenen mittleren Alters war ein höherer Fernsehkonsum im frühen bis mittleren Erwachsenenalter mit einem geringeren Volumen der grauen Substanz verbunden. Es hatte also schon verhältnismäßig geringer Trash-TV-Konsum im Erwachsenenalter Auswirkungen auf das Gehirn. Zusätzlich könnten Bewegungsarmut oder andere Aspekte des Fernsehkonsums für die Gehirnalterung auch im mittleren Alter zusäzlich von Bedeutung sein.
Literatur
Dougherty, Ryan, Hoang, Tina, Launer, Lenore, Jacobs, David, Sidney, Stephen & Yaffe, Kristine (2021). Long-term television viewing patterns and gray matter brain volume in midlife. Brain Imaging and Behavior, doi:10.1007/s11682-021-00534-4.
Fancourt, Daisy & Steptoe, Andrew (2019). Television viewing and cognitive decline in older age: findings from the English Longitudinal Study of Ageing. Scientific Reports, 9, doi:10.1038/s41598-019-39354-4.
Stangl, W. (2012). Der Einfluss des Fernsehens auf die geistige und emotionale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. [werner stangl]s arbeitsblätter.
WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/MEDIEN/Fernsehwirkung.shtml (2012-04-28).
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