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Das Rosenhan-Experiment – Normale spielten verrückt

IM JAHRE 1973 veröffentlichte der amerikanische Psychologieprofessor David L.Rosenhan in der Zeitschrift „Science“ den Bericht über ein außergewöhnliches Experiment, das weit über die Fachwelt hinaus Aufsehen erregte und abendfüllenden Gesprächsstoff abgab. Der französische Philosoph Michel Foucault wünschte im gleichen Jahr dem Amerikaner einen „Nobelpreis für wissenschaftlichen Humor“. Der Grund:
Fünf Männer und drei Frauen verschafften sich dadurch den Status von Psychiatriepatienten, daß sie den Ärzten erklärten, sie würden Stimmen hören, die die Worte „leer“, „hohl“ und „dumpf“ sagten. Es waren gesunde Leute, die dieses Symptom lediglich beim Aufnahmegespräch vorspiegelten, danach nicht mehr.
Es handelte sich um einen Studenten der Psychologie in den 20ern, drei Psychologen, ein Kinderarzt, ein Psychiater, ein Maler und eine Hausfrau. Sie suchten insgesamt 12 psychiatrische Krankenhäuser auf, for-schungsorientierte ebenso wie alte, manche waren personell unterbesetzt, andere hingegen waren gut ausgestattet. Die Schauspielerei der Pseudepatienten beschränkte sich darauf, daß sie andere Namen angaben, aus Furcht, daß sie eine psychiatrische Diagnose später behindern könnte und daß einige den falschen Beruf angaben. Ansonsten verhielten sie sich so normal, wie sie es gewohnt waren und wie es ihnen möglich war. Die Pflegeberichte registrierten sie denn auch als „freundlich“ und „kooperativ“.
Trotzdem wurden sie nicht als Pseudopatienten entlarvt und es wurde auch nicht die andere ebenso richtige Feststellung getroffen, daß man sich die Symptome mit den vorhandenen Mitteln nicht erklären könne. Die Mitglieder an diesem Experiment waren zwischen 7 und 52 Tagen hospitalisiert, 19 Tage im Durchschnitt. Alle wurden entlassen mit der Diagnose “ abklingende Schizophrenie“. Dies ist auch deswegen so erstaunlich, weil während der ersten drei Aufenthalte 35 von 118 Patienten der Aufnahmestation den Verdacht äußerten, daß es sich um keine echten Patienten handeln könne. Das Personal hingegen nie. Dies hing sicher mit der Tatsache zusammen, daß die Pfleger relativ wenig Zeit mit den Patienten zusammen verbrachten, die Ärzte sogar noch weniger und daß es für einen Psychiater ein geringeres Risiko bedeutet haben mag, einen Gesunden für krank zu halten, als umgekehrt einen Kranken für gesund.
Ärztliche Mitglieder eines Forschungs-und Lehrhospitals, das mit dieser Möglichkeit des Irrtums konfrontiert wurde, behaupteten, daß dies bei ihnen nicht vorkommen könne. Anlaß genug für Rosenhan, die Gegenprobe zu machen. Er kündigte an, innerhalb der nächsten drei Monate kämen ein oder mehrere Pseudopatienten, um in diesem Hospital das gleiche Spiel zu spielen. Tatsächlich kam aber keiner aus Rosenhans Gruppe. Das Ergebnis: 41 von 193 Patienten sollten nach Ansicht von mindestens einem Mitglied des Pflegepersonals trotzdem Pseudopatienten gewesen sein. 23 Patienten wurden als Pseudopatienten „entlarvt“ von mindestens einem Psychiater, immerhin noch 19 von einem Psychiater sowie einem anderen Mitglied des Personals.
Was Rosenhan, der an dem Experiment selbst teilnahm, besonders auffiel: Einmal als „abnormal“ abgestempelt, färbt dieses Merkmal die Wahrnehmung von der betreffenden Person völlig ein und man übersieht die normalen Anteile oder interpretiert sie falsch. Die Lebensgeschichte wurde so umgedeutet, daß sie mit der gängigen Schizophrenietheorie übereinstimmte. Das Personal schien von der Annahme auszugehen, daß die Menschen, weil sie im Krankenhaus aufgenommen worden waren, geistig gestört sein mußten. Und da sie für sie geistig gestört waren, waren auch ganz normale Tätigkeiten, wie etwa das Anfertigen von Notizen für das Personal Ausdruck dieser Störung. Nie hatte das Personal erkennbar die Idee, daß irgendwelche Verhaltensweisen, die es beobachtete, etwas mit dem Krankenhaus oder den Interaktionen zu tun haben könnte.
An sich selber stellten die „Gesunden“ bereits nach kurzer Zeit sogenannte „Depersonalisationserlebnis-se“ fest. Einer hatte sogar das Gefühl, unsichtbar zu sein. 71 % der Psychiater und 88 % der Schwestern und Pfleger sind bei ganz normalen Fragen von Patienten einfach weitergelaufen ohne den Fragesteller zu beachten. Dies ist ein Verhalten, das in normalen Interaktionen, auch wenn die Menschen wenig Zeit haben, so nicht vorkommt, wie Rosenhan glaubhaft belegen konnte. Es konnte beobachtet werden, wie Pfleger Patienten verbal oder physisch mißhandelten, solange sie sich nicht vom übrigen Personal beobachtet fühlten. Waren lediglich „Patienten“ die Zeugen, so hinderte sie das offenbar nicht daran, rüde mit ihnen umzuspringen. Patienten sind nicht glaubwürdig.
Die „Patienten“ hatten die Situation insoweit unter Kontrolle, als sie ja selbst es waren, die sich in diese Lage brachten. Was wäre aber gewesen, wenn die Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus von anderen inszeniert worden wäre, ohne daß die angeblichen Patienten an diesem Betrug freiwillig mitgewirkt hätten? Wenn ganz normales Schreiben im Kontext eines psychiatrischen Krankenhauses zu einem „Gehabe des Schreibens“ wird, so fragte Foucault im Nouvel Observateur, was würde es dann erst bedeuten, da drin jemandem einen Schlag in die „Fresse“ zu verpassen?
http://www.stanford.edu/~kocabas/onbeingsane.pdf


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